Description
In diesem Landscape Report werden Ergebnisse aus dem BMBF-geförderten Verbundprojekt “Stand und Perspektiven einer Open-Access-Strategie für Deutschland - Open4DE” vorgestellt.
In diesem Landscape Report werden Ergebnisse aus dem BMBF-geförderten Verbundprojekt “Stand und Perspektiven einer Open-Access-Strategie für Deutschland - Open4DE” vorgestellt.
Open Access etabliert sich zunehmend als allgemeiner und nachhaltiger Standard des wissenschaftlichen Publizierens. Weltweit formulieren Forschungsinstitutionen und -organisationen seit vielen Jahren entsprechende Strategien und Policies, deren Schwerpunkte und Akzente sich im Laufe der Zeit verändern. Die vollständige Transformation des Wissenschafts- und Publikationssystems hin zu Open Access schreitet allerdings aus verschiedenen Gründen nur sehr langsam voran. Gleichzeitig entwickeln sich Standards einer offenen Wissenschaft, die neben Forschungsergebnissen auch Forschungsprozesse und Wissenschaftskommunikation umfasst.
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekt “Stand und Perspektiven einer Open-Access-Strategie für Deutschland - Open4DE” (im Folgenden Open4DE) hat während der Projektlaufzeit (02/2021–04/2023) den Status quo der Open-Access-Transformation in Deutschland untersucht und darauf aufbauend Empfehlungen für die Entwicklung einer bundesweiten Strategie bzw. Policy für Open Access auf strategisch-konzeptioneller sowie auf inhaltlicher Ebene entworfen. Grundlage dieses Reports sind die Ergebnisse der im Rahmen des Projekts Open4DE durchgeführten Studie. Diese Studie gliederte sich in drei Phasen: 1) Bestandsaufnahme und Inhaltsanalyse eines Samples von Open Access Policies (OAP) und verwandten Textdokumenten, 2) leitfadengestützte Interviews mit Expert*innen, 3) problemzentrierte Workshops mit Stakeholdern der Open-Access-Transformation.
In der ersten Phase der Bestandsaufnahme wurde ein Sample an OAP und verwandten Textdokumenten wie Positions- und Strategiepapieren und Stellungnahmen von Universitäten, Hochschulen, Bund und Ländern, Forschungsförderern und Wissenschaftsorganisationen sowie wissenschaftlichen Fachgesellschaften zusammen gestellt und untersucht. Die Analyse des Status Quo erfolgte initial auf Grundlage einer qualitativen Inhaltsanalyse der Textdokumente des Samples. Die detaillierte Vorgehensweise der Sample-Generierung und der qualitativen Dokumentenanalyse ist im Open4DE-Studienreport dokumentiert (vgl. Bärwolf et al. 2023n). Zudem wurde anhand von Interviews mit europäischen Open Access und Open Science Professionals untersucht, wie OAP auf unterschiedlichen Ebenen initiiert, ausgehandelt, gestaltet und implementiert werden und wie das Monitoring dieser Policies erfolgt. In der zweiten Phase der Studie wurde diese Bestandsaufnahme durch Stakeholder*innen-Workshops mit Vertreter*innen der Stakeholder-Gruppen Bund und Länder, Wissenschaftsorganisationen, Fachcommunities, Scholar-led-Publisher diskutiert. Die Workshopergebnisse wurden im Anschluss in leitfadengestützten Expert*inneninterviews vertiefend erörtert.1 Aus den Workshop-Diskussionen und Analyseergebnissen der protokollierten Interviews lassen sich Desiderate und Herausforderungen der gegenwärtigen Transformation identifizieren und entsprechende Reformbedarfe ableiten. In der dritten, abschließenden Konsultationsphase wurde diese Bestandsaufnahme in einem abschließenden Strategieworkshop mit den zentralen Stakeholder-Gruppen (Bund und Länder, Wissenschaftsorganisationen, Fachcommunities, Scholar-led-Publisher) nochmals überprüft sowie mögliche Empfehlungen für eine zukünftige Open-Access-Strategie entwickelt und diskutiert. Die Ergebnisse aller Phasen des Forschungsprozesses fließen in diesen Landscape Report ein, der wie folgt aufgebaut ist:
Der Status Quo und der Diskurs um die Open-Access-Transformation in Deutschland werden zunächst anhand zentraler Ergebnisse der qualitativen Dokumentenanalyse des Samples von untersuchten OAP und verwandten Textdokumenten dargestellt (Kapitel 2).
Daraufhin werden die strategischen Voraussetzungen und Herausforderungen, die einen bundesweiten Strategieprozess begleiten, mit Blick auf Good Practices ausgewählter europäischer Nachbarländer (Kapitel 3) und unter besonderer Berücksichtigung des hiesigen Wissenschaftssystems dargestellt (Kapitel 4–6).
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen münden auf strategisch-konzeptioneller Ebene in den Entwurf eines Stakeholder-Governance-Modells für die Open Access Community in Deutschland und auf der inhaltlichen Ebene in drei Empfehlungen, die im Rahmen des Projektvorhabens als zentral für das Voranschreiten der Open-Access-Transformation in Deutschland identifiziert wurden (Kapitel 7).
Für die Darstellung der strategischen Voraussetzungen und Herausforderungen eines bundesweiten Strategieprozesses ist die Vielfalt und Komplexität der deutschen Wissenschaftslandschaft zu berücksichtigen, aufgrund derer die Beziehungen der Stakeholder*innen untereinander ohne Anspruch auf Vollständigkeit analysiert werden und Impulsgeber sowie Hindernisse, Herausforderungen und Probleme der Umsetzung von Open Access in Deutschland exemplarisch aufgezeigt werden. Der Fokus liegt dabei auf den Positionen staatlich geförderter Akteure und öffentlicher Institutionen. Beobachtungen über die wissenschaftsspezifische Konstellation zwischen privatwirtschaftlichem und öffentlichem Sektor (im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens) fließen allerdings ebenfalls in diesen Bericht ein.
Eine öffentliche Kommentierungsphase zu diesem Bericht lief vom 25. Mai bis 9. Juni 2023. Wir möchten uns bei allen bedanken, die sich die Zeit genommen haben, den Bericht zu kommentieren. Wir haben die Kommentare soweit wie möglich in diese zweite Version des Open4DE Landscape Report eingearbeitet.
2. Open Access Policies in Deutschland: Der Diskurs um die Open-Access-Transformation
3. Open Access Policy-Making in ausgewählten europäischen Ländern
5. Wissenschaftsorganisationen
6. Fachcommunities und Fachgesellschaften
7. Empfehlungen: Eine Open Access Policy für Deutschland
This Landscape Report presents results from the BMBF-funded joint project "Status and Perspectives of an Open Access Strategy for Germany - Open4DE". The aim of the project is to explore routes towards a nationwide open access policy for Germany. In order to achieve this, the project analysed the discourse on the open access transition through a sample of open access policies, guidelines, strategy and position papers from the following stakeholders: federal and state governments, universities, higher education institutions, research organisations and learned societies (Ch. 2). Interviews with experts who were involved in policy processes in European countries provided information on the design of a possible policy process in Germany (Ch. 3). In workshops and interviews with representatives of the federal government and the German federal states (Ch. 4), the research organisations (Ch. 5), the learned societies (Ch. 6) and with members of the scholar-led publishing community, the status as well as challenges and needs of the transition of the publication system to Open Access were identified. The results of these investigations lead to the draft of a stakeholder governance model for the Open Access community in Germany (strategic-conceptual point of view) and, content-wise, to the following three recommendations: the Open Access transition in Germany should be driven forward in particular under the aspects of strengthening research community-led publication infrastructures, promoting cultural change and a coordinated transformation of financial structures (Ch. 7).
In diesem Landscape Report werden Ergebnisse aus dem BMBF-geförderten Verbundprojekt “Stand und Perspektiven einer Open-Access-Strategie für Deutschland - Open4DE” vorgestellt. Ziel des Projektes ist es, Wege zu einer bundesweiten Open Access Policy (OAP) für Deutschland aufzuzeigen. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen des Projektes der Diskurs um die Open-Access-Transformation in einer Auswahl von Open Access Policies, Leitlinien, Strategie- und Positionspapieren der Stakeholder-Gruppen Bund und Länder, Universitäten, Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und Fachgesellschaften analysiert (Kapitel 2). Aus Interviews mit Expert*innen, die an Policy-Prozessen in europäischen Nachbarländern beteiligt waren, wurden Hinweise auf die Gestaltung eines möglichen Policy-Prozesses in Deutschland gewonnen (Kapitel 3). In Workshops und Interviews mit Vertreter*innen des Bundes und der Bundesländer (Kapitel 4), der Wissenschaftsorganisationen (Kapitel 5), der Fachgesellschaften (Kapitel 6) und mit Mitgliedern des scholar-led.network wurden der Stand sowie Herausforderungen und Bedarfe der Umstellung des Publikationssystems auf Open Access ermittelt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen münden auf strategisch-konzeptioneller Ebene im Entwurf eines Stakeholder-Governance-Modells für die Open Access Community Deutschland und auf der inhaltlichen Ebene in folgende drei Empfehlungen: die Open-Access-Transformation in Deutschland sollte insbesondere unter den Gesichtspunkten Stärkung der wissenschaftsgetragenen Publikationsinfrastrukturen, Förderung des Kulturwandels und koordinierte Transformation der Finanzstrukturen vorangetrieben werden (Kapitel 7).
In Open4DE wurden Open Access Policies (OAP) und thematisch verwandte Dokumente, die Diskussionen, Umsetzungsstand und Bedarfe von Open Access innerhalb einer bestimmten Stakeholder-Gruppe in Deutschland abbilden, untersucht, um den Status Quo der Umsetzung von Open-Access-Kernelementen zu beschreiben. Häufig werden OAP Variablen-basiert ausgewertet, d.h. anhand eines bestimmten Kriterienkatalogs auf Häufigkeiten abgefragt und analysiert (vgl. Hübner und Riesenweber 2018). Diese Analyse stößt dort an eine Grenze, wo sie eine Linearität zwischen (zählbarer) Nennung, Implementierung und Wirkung unterstellt, die in der empirischen Realität nicht immer gegeben ist. Um die Inhalte, Leerstellen und die Diskurse in OAP zu analysieren, wurden die Dokumente anhand interpretativer Verfahren kodiert und interpretiert (vgl. Bärwolf et al. 2023m).2
Strategien oder Policies zu Open Access sind zentral für die Open-Access-Transformation, da diese den erreichten Stand sowie die verfolgte Ambition festhalten und kommunizieren. Solche Strategien können auf verschiedenen Ebenen formuliert werden und sich aufeinander beziehen, etwa auf Bundes-, Landes-, Organisations- oder institutioneller Ebene bzw. aus fachwissenschaftlicher Perspektive. Ergänzend richten sich OAP typischerweise an Wissenschaftler*innen und konkretisieren, welche Praxis besonders gewünscht und gefördert wird und welche Infrastrukturen, Unterstützung und ggf. Finanzmittel für die Umsetzung zur Verfügung stehen. Im Folgenden werden alle Dokumenttypen unter dem Sammelbegriff OAP gefasst. Das Sample umfasst 116 Textdokumente, die sich wie folgt auf fünf Stakeholder-Gruppen verteilen: 8 Bund und Länder, 45 Universitäten, 20 Hochschulen3, 11 Wissenschaftsorganisationen, 32 Fachgesellschaften und Fachcommunity (vgl. Bärwolf et al. 2023o; Bärwolf et al. 2023n).4 OAP sind wichtige hochschul- und wissenschaftspolitische Instrumente, um Open Access zu fördern und die Entwicklung von zu implementierenden Maßnahmen zu beschreiben. In OAP werden diverse Adjektive genutzt, um die Eigenschaften von offener Wissenschaft näher zu beschreiben. Diese Eigenschaften lassen sich in drei Funktionen unterteilen, die im Folgenden detaillierter beleuchtet werden: 1) Open Access ermöglicht den Zugang zu Wissen in zuvor nicht gekanntem Maße, 2) Open Access steigert und erhöht die Wirksamkeit von Forschung, 3) Open-Access-Praktiken beinhalten bestimmte Werte und Normen für das Wissenschaftssystem.
Mit dem Konzept Open Access werden wissenschaftliche Publikationen beschrieben, die über das Internet langfristig offen zugänglich und nachnutzbar gemacht werden, indem der Zugang ohne finanzielle, technische und rechtliche Barrieren gestaltet ist. Wegweisend für dieses Verständnis von Open Access waren drei Konferenzen und ihre jeweiligen Positionspapiere, die Budapest Open Access Initiative (2002), das Bethesda Statement on Open Access Publishing (2003) und die Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities (2003) (im Folgenden kurz: Berliner Erklärung). Insbesondere die Berliner Erklärung (2003) bildet einen entscheidenden Bezugspunkt für die Entwicklung des Open-Access-Gedankens an deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen. Die Deklaration wurde seit ihrer Verabschiedung von über 770 Hochschulen, wissenschaftlichen Einrichtungen, Forschungsförderern sowie weiteren akademischen Institutionen und Einrichtungen des Kulturerbes unterzeichnet (Stand: April 2023). Eine solche Unterzeichnung ist für viele wissenschaftliche Einrichtungen der Ausgangspunkt, um eine eigene OAP zu verabschieden (vgl. Pampel 2012, 9).
Häufig wird in OAP von einer Open-Access-Transformation gesprochen, deren Ziel nicht selten eine Quote von Open-Access-Zeitschriftenartikeln beinhaltet. Zuletzt veröffentlichte Irland einen Aktionsplan mit dem Ziel, dass alle wissenschaftlichen Publikationen, die aus öffentlich finanzierter Forschung entstehen, bis zum Jahr 2030 standardmäßig Open Access erscheinen (vgl. National Open Research Forum 2022, 12). Innerhalb wissenschaftspolitischer Diskurse in Deutschland gibt es diesen Anspruch ebenso, bspw. setzte Berlin sich im Rahmen der Landesstrategie von 2015 das Ziel, bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 60 % bei Open-Access-Artikeln in wissenschaftlichen Zeitschriften zu erreichen (vgl. Kindling et al. 2022a). Die Wissenschaftsorganisation der Helmholtz-Gemeinschaft will 100 % Open Access zu wissenschaftlichen Artikeln bis zum Publikationsjahr 2025 erreichen und die Fraunhofer-Gesellschaft setzt sich im “Pakt für Forschung und Innovation IV” bis 2025 einen Anteil von 75% Open-Access-Publikationen von wissenschaftlichen Artikeln zum Ziel (vgl. Helmholtz-Gemeinschaft 2016; GWK 2019). Die Annäherung an einen standardmäßig offenen Zugang zu öffentlich finanzierter Forschung wird in vielen OAP als wünschenswert beschrieben, doch wie dieser Weg beschritten werden soll und welche Teilziele dabei verfolgt werden, ist nicht einheitlich festgelegt.
Im Detail zeigen alle OAP eine hohe Diversität an Handlungsfeldern und Verantwortlichkeiten auf. In der Analyse zeigt sich, dass Offenheit als eines der Kernkonzepte von Open Access nicht immer genau definiert wird. OAP nutzen am häufigsten einen Verweis auf die Berliner Erklärung (2003), in der wiederum auf die Definition von Open Access in der Budapest Open Access Initiative (2002) verwiesen wird. Dort wird Literatur als Open Access bezeichnet, die
„kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich sein sollte, sodass Interessierte die Volltexte lesen, herunterladen, kopieren, verteilen, drucken, in ihnen suchen, auf sie verweisen und sie auch sonst auf jede denkbare legale Weise benutzen können, ohne finanzielle, gesetzliche oder technische Barrieren jenseits von denen, die mit dem Internetzugang selbst verbunden sind“ (Budapest Initiative, 2002).
Zugänglichkeit trägt in OAP vielseitige Bedeutungen, von „unmittelbar verfügbar“, „entgeltfrei“, „weltweit“, „dauerhaft“, „öffentlich verfügbar“ bis hin zu „gleichberechtigt“ und „barrierefrei“. Was Offenheit zu wissenschaftlichen Texten erstmalig idealerweise ermöglichen soll, ist die Schaffung einer gemeinsamen, „einheitlichen Wissensbasis“, auf die alle gleichermaßen zugreifen können, solange ein stabiler Internetzugang gegeben ist (vgl. z.B. TU Chemnitz, 2015). Diese Wissensbasis beschränkt sich nicht auf Open Access zu Textpublikationen, sondern beinhaltet Forschungsergebnisse in unterschiedlichen Publikationsformen und -formaten, zudem Forschungsdaten, aber auch Verwaltungsdaten und hervorgehoben durch die Berliner Erklärung (2003) auch Kulturdaten. Die Open-Access-Strategie des Landes Brandenburg spricht bspw. bereits von einer „Offenheit des gesamten wissenschaftlichen Kommunikationssystems“ im Sinne von Open Science (vgl. Strategie Brandenburg, 2019). Durch die Nachnutzung dieser digital zugänglichen Wissensbasis für weitere Forschungen sollen neue Darstellungsformen von Forschung und innovative Methodologien möglich werden. Die Strategie E-Science: Wissenschaft unter neuen Rahmenbedingungen des Landes Baden-Württemberg (2014) formuliert dies so:
“Es gibt aber noch eine andere Art von Fortschritt, der die Art betrifft, wie Wissenschaft betrieben wird, d.h. mit welchen Methoden und Werkzeugen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten, um zu ihren Ergebnissen zu gelangen. Hier geht es in der Regel um inkrementelle Verbesserungen des jeweils vorhandenen Instrumentariums, es kommt aber auch vor, dass qualitativ neue Ansätze einen grundlegenden Wandel in der Art, Wissenschaft zu betreiben und zu reflektieren, auslösen“ (S. 6).
Die OAP weisen für den Aspekt der Nachhaltigkeit im Sinne von Nachnutzbarkeit von Forschungserzeugnissen keine standardmäßige Formulierung auf. Obwohl der Aspekt der Nachnutzbarkeit zu der Kerndefinition von Open Access gehört, findet er in den Definitionen der OAP von Universitäten und Hochschulen kaum explizit Erwähnung.5 Bereits in der Budapest Open Access Initiative (2002) werden mit Open Access jedoch beide Komponenten angesprochen, die Zugänglichkeit und die Nachnutzbarkeit. Diese zwei Komponenten wurden in dem Bethesda Statement on Open Access Publishing und der Berliner Erklärung (Juni und Oktober 2003) wieder aufgegriffen, jedoch ohne diese begrifflich zu trennen. Peter Suber übernimmt 2008 die Begriffe “Gratis” Open Access und “Libre” Open Access aus der Diskussion um Open/Free Source Sofware, wobei “Gratis” Open Access sich auf das kostenlose Anschauen und Drucken von Publikationen bezieht und “Libre” Open Access auch die Nachnutzbarkeit impliziert (vgl. Suber 2008, Abs. 15). Der Programmierer und Aktivist Richard Stallman beschreibt diese Unterschiedung in “Gratis” und “Libre” in Bezug auf Free Software und Open Source Software folgendermaßen:
“Free software” means software that respects users’ freedom and community. Roughly, it means that the users have the freedom to run, copy, distribute, study, change and improve the software. Thus, “free software” is a matter of liberty, not price. To understand the concept, you should think of “free” as in “free speech,” not as in “free beer.” We sometimes call it “libre software” to show we do not mean it is gratis (Stallman 2015[2002], 2).
Freier Zugang in der Definition von Open Access bezieht sich demnach mit dem Begriff “Libre” eben auf die Freiheit der Nachnutzung und nicht auf Freiheit im Sinne von kostenlos, oder in anderen Worten “Gratis” Open Access.6 Das in den untersuchten OAP verwendete Open Access bezieht sich fast immer auf die Berliner Erklärung, in der die beiden Aspekte Zugänglichkeit und Nachnutzbarkeit im Sinne offener Lizenzen erwähnt werden (2003, 2). Es ist auffällig, dass nur eine Hochschule im Sample Nachnutzbarkeit in der Definition von Open Access ausdrücklich erwähnt und zwar dann, wenn nicht die Berliner Erklärung herangezogen wird (vgl. Hochschule Hannover 2019).7 Ansonsten wird der Aspekt der Nachnutzbarkeit primär in OAP der Länder und in Diskussionen der Fachgesellschaften sowie in zwei weiteren OAP auf Einrichtungsebene explizit benannt, wenn es um Forschungsdaten, Kulturdaten oder bspw. Software Code geht. Aktuellere OAP erwähnen den Aspekt der Nachnutzbarkeit expliziter durch die Empfehlung, offene Lizenzen zu nutzen, so wie es auch in der Berliner Erklärung (2003) erwähnt wird. Es zeigt sich jedoch in OAP der Universitäten und Hochschulen ein verengter Blick auf Textpublikationen. “Libre” Open Access im Sinne der Nachnutzbarkeit ist jedoch ausschlaggebend für den zweiten Aspekt von Open Access, die im Folgenden beschriebene Wirksamkeit von Open-Access-Praktiken.
Die untersuchten OAP formulieren eine mit Open Access verbundene Steigerung von bestimmten Wirkungen, wie Verfügbarkeit, Nachnutzbarkeit und Sichtbarkeit von Forschung. Bei der Wirksamkeit von Open Access können zwei Bereiche unterschieden werden: die Wirksamkeit innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft, die wissenschaftliche Kommunikation, und die von der Wissenschaft in die Gesellschaft hinein, der Wissenstransfer.
OAP verweisen häufig auf den Wissenstransfer und betonen, dass das wissenschaftliche Wirken an den Einrichtungen durch Open Access der Öffentlichkeit besser dargestellt und verständlich gemacht werden kann. In den Länderstrategien wird mit dem Wissenstransfer ein Austausch mit der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft benannt (Schleswig-Holstein 2014, 7; Hamburg 2017, 1; Brandenburg 2019, 6; Berlin 2015, 2; Baden-Württemberg 2014, 4). Dass der Wissenstransfer tatsächlich durch Open Access erleichtert wird, betonen auch Hopf et al. in ihrer Literaturstudie (2022, 15): „Open-Access-Publikationen werden in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen signifikant häufiger erwähnt als zugangsbeschränkte Publikationen“. Wissenstransfer meint in den analysierten Dokumenten sowohl die inhaltliche Erweiterung von vorhandenem Wissen als auch die räumliche Verbreitung von Wissen. Zudem soll Offenheit durch den Wissenstransfer in eine nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit mehr Innovation ermöglichen. Was genau unter Innovation verstanden wird, bleibt in den OAP häufig undefiniert. Bezogen wird die Erwartung von Innovation primär auf den Transfer zwischen den Domänen, insbesondere zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Daraus folgende innovative Prozesse werden als unmittelbare Folgen von Open Access dargestellt: “Open Access bereitgestellte Publikationen lassen sich ohne Zugriffsbeschränkungen nutzen. Dies befördert unmittelbar und nachhaltig Forschungs- und Innovationsprozesse in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft" (Georg-August-Universität Göttingen 2016). Damit wird auch eine gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen Wissenschaftsstandorts verbunden, der Innovation durch den Wissenstransfer fördert (Berlin 2015, 2; Hamburg 2017, 3). Ein Wissenstransfer mit der Wirtschaft ist primär darauf ausgerichtet, eine Verbesserung und Erneuerung von Produkten und Dienstleistungen hervorzubringen. Die OAP der Fraunhofer-Gesellschaft stellt heraus, dass Open Access überhaupt erst Innovation ermöglicht: „Ohne unmittelbaren und zeitnahen Austausch von Forschungsergebnissen sind Innovationen unmöglich“ (Fraunhofer-Gesellschaft 2008).
Einer gesteigerten Sichtbarkeit von Forschung wird die Wirkung zugeschrieben, eine Profilierung von Fächern und ggf. Instituten zu erlauben: Indem Wissen auffindbar zur Verfügung gestellt wird, sollen insbesondere kleine Fächer innerhalb der Wissenschaftslandschaft ihr Profil stärken können. Die deutsche Gesellschaft für empirische Kulturwissenschaft (DGEKW) betont im Hinblick auf die Open-Access-Transformation der Zeitschrift für empirische Kulturwissenschaft: „Dies macht die Forschungsleistungen gerade ‚kleinerer‘ Fächer in der Außenwahrnehmung erheblich sichtbarer“ (DGEKW 2021, 1).
In den untersuchten OAP wird zudem die Ansicht vertreten, dass eine Qualitätsverbesserung von Forschung stattfinde. Der Aspekt der Nachnutzbarkeit als Teil der Kerndefinition von Open Access soll grundsätzlich zu einer Qualitätsverbesserung der Wissenschaft führen, unter anderem auch, weil die nachnutzbar zur Verfügung gestellten Forschungsergebnisse besser nachprüfbar sind (vgl. DGP 2020). Die Qualität wissenschaftlicher Prozesse kann zudem durch Metadatenstandards und der Verknüpfung von Daten- und Textpublikationen in Metadaten verbessert werden. Diese Vernetzung und Referenzierung wiederum erhöht die Effizienz wissenschaftlicher Prozesse und erlaubt die verbesserte Integration von Publikationsprozessen in den Forschungsprozess. Die Einbindung anderer Dienste (bspw. bessere Suchfunktionen für Volltexte aus freien digitalen Bibliotheken) auf Open-Access-Publikationsplattformen durch offene Schnittstellen erlaubt zeitgemäße Recherche- und Lesemöglichkeiten für Wissenschaftler*innen (vgl. DMV 2020).
Aufgrund dieser Qualitätsverbesserung erwähnt eine der ersten OAP auf Länderebene im Jahr 2014, dass die “Verfügbarmachung digitaler Information [...] eine infrastrukturelle Grundversorgungsaufgabe geworden” ist, die sich auch auf Open Access zur Verfügung gestellte wissenschaftliche Informationen bezieht (Baden-Württemberg 2014, 11). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung schreibt 2016 in seiner eigenen Open-Access-Strategie, “Open Access soll in Deutschland zum Standard des wissenschaftlichen Publizierens werden” (BMBF 2016, 6). Für die Umsetzung von Open Access als Standard verweisen OAP auf die DFG “Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis” als wichtiger Baustein aller Forschung (vgl. Freie Universität Berlin 2021, 1). Dort wird unter Leitlinie 13 die “Herstellung von öffentlichem Zugang zu Forschungsergebnissen” thematisiert, indem “Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in eigener Verantwortung [entscheiden] – unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des betroffenen Fachgebiets –, ob, wie und wo sie ihre Ergebnisse öffentlich zugänglich machen” (DFG 2019, 18).8 Zugleich ist in einigen Disziplinen ohne offene Wissenschaftspraxis kaum eine gute wissenschaftliche Praxis möglich: In den Datenmanagement-Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) wird die Bedeutung von offener Wissenschaft wie folgt umschrieben: „Diese Norm [Offenheit und Transparenz] ist kein Selbstzweck: sie macht unsere Forschung im Idealfall belastbarer, glaubwürdiger und qualitativ hochwertiger” (Gollwitzer et al. 2018, 372).
Daran schließt sich ein weiteres Argument an, denn Forschung soll durch Open Access nicht nur qualitativ verbessert, sondern auch beschleunigt und dynamisiert werden. In OAP wird vermittelt, dass Publikationsprozesse und damit auch der Austausch über Forschungsergebnisse durch die Öffnung im Allgemeinen beschleunigt werden. Im Vergleich zu einer Veröffentlichung in Verlagen erlaubt die Selbstveröffentlichung im Open Access bspw. über Repositorien eine schnelle Verfügbarkeit, wodurch eine Effizienzsteigerung erreicht werden soll.9 Im Forschungsprozess selbst können zudem unterschiedliche Folgeprozesse durch die Beteiligung anderer entstehen und diese Dynamisierung kann dazu dienen, den Erkenntnisgewinn zu optimieren, unter anderem weil Daten für Re- und Metaanalysen verwendet werden können oder Schreib- und Begutachtungsprozesse partizipativ gestaltet werden. Die Öffnung von Forschungsergebnissen und die Öffnung des Forschungsprozesses dynamisiert die Forschung dadurch, dass interdisziplinärer und internationaler Austausch vereinfacht wird. Die Technische Universität Hamburg formuliert es in ihrer Policy für Offenheit in Forschung und Lehre in Bezug auf Open Science folgendermaßen:
„Open Science bezeichnet einen kulturellen Wandel in der wissenschaftlichen Arbeitsweise und Kommunikation. Das heißt, dass Kommunikation, Vernetzung und Austausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern untereinander, aber auch mit der Zivilgesellschaft, durch digitale Werkzeuge offener und effektiver gestaltet und gefördert werden können“ (TUHH 2018).
Durch Open Access werden Kooperation, Nachnutzung, Transfer und Rezeption interdisziplinär und international leichter umsetzbar. Die in OAP beschriebene Wirksamkeit von Offenheit folgt dabei einer Steigerungslogik: Zuvor bereits vorhandene mögliche (Aus-)Wirkungen von Wissenschaft und Forschung werden durch Open Access erhöht. Diese Bedeutung von Open Access lässt sich von einer dritten Funktion unterscheiden: Open Access werden bestimmte Werte und Normen zugeschrieben, die im Folgenden zusammenfassend diskutiert werden.
Open Access wird in den untersuchten OAP mit bestimmten Wert- und Normvorstellungen verbunden. Zum ersten, indem Praktiken der offenen Wissenschaft normativ mit dem Erreichen von mehr sozialer Gerechtigkeit verknüpft werden (Vielfalt, Wissensgerechtigkeit); zum zweiten, indem die Wissenschaftsfreiheit als Hinderungsgrund für Praktiken offener Wissenschaft positioniert wird (bspw. freie Wahl des Publikationsortes vs. Open Access); und zum dritten, indem ein Wandel von bestimmten Wertvorstellungen innerhalb der Wissenschaftskultur gefordert wird (bspw. Kulturwandel der Reputationsökonomie, Anerkennung offener Wissenschaftspraxis bei der Beurteilung wissenschaftlicher Leistung). Insbesondere wird mit der Öffnung des gesamten Forschungsprozesses im Sinne von Open Science häufig die Forderung nach einem wissenschaftsinternen Wertewandel verknüpft. Im Folgenden werden Wertediskussionen in den OAP des Samples diskutiert, um die Zusammenhänge zwischen den Wertzuschreibungen und den zuvor erläuterten angenommenen Wirksamkeiten von Open Access darzustellen.
OAP bekennen sich zur Förderung von Vielfalt und beziehen sich hierbei vor allem auf die Vielfalt im Open Access. Die Open-Access-Strategie des Landes Brandenburg benennt „Vielfalt der Wissenschaft anerkennen, Vielfalt des Open Access fördern“ als eines von vier Leitprinzipien, um eine „breite Akzeptanz und Beteiligung aller Akteure sicherzustellen“ (2019, 9, 11). Dieses Leitprinzip antwortet damit auf Forderungen von Fachdisziplinen, „methodische Vielfalt“ und die Besonderheiten von Forschungsprozessen zu berücksichtigen (DGV/DGEKW 2018, 5).10 Die Open-Access-Strategie des Landes Brandenburg bezieht sich auch deshalb auf den Leitsatz: „So offen wie möglich, so geschlossen wie nötig” (2019, 11).11 Wissenschaftler*innen haben zunehmend vielfältige Möglichkeiten, ihre Forschung frei zugänglich zu publizieren (vgl. Holzer 2011, Abs. 11). In dieser Vielfalt wird generell ein positiver Wert gesehen. Der “Jussieu-Appell für offene Wissenschaft und Bibliodiversität” verweist sogar ausdrücklich auf die Vielfalt der Akteur*innen als Garant für Innovation in der Forschung (vgl. Jussieu-Appell 2017).12
Der Aspekt der Vielfalt gewinnt im deutschen wissenschaftspolitischen Diskurs durch die Betonung des Wissenschaftsrats in seinen Empfehlungen zur Transformation des wissenschaftlichen Publizierens an Bedeutung: „Zu den Zielen der Transformation gehört es deshalb, die Vielfalt der wissenschaftlichen Publikationstypen und -medien zu wahren und Innovationen auf diesem Sektor zu fördern“ (Wissenschaftsrat 2022, 8). Neben der Förderung von Innovation durch Vielfalt betonen die Empfehlungen zudem, dass Wettbewerb erst durch die Sicherung der Vielfalt an Publikationsdienstleistungen ermöglicht wird, u.a. durch die Unterstützung „neue[r] (verlagsunabhängige[r]) Publikationsmodelle“ (Wissenschaftsrat 2022, 40). Vielfalt von Akteur*innen, Publikationsangeboten und Ansätzen sowie Publikationsformen im Open Access wird als produktiv bezeichnet, da diese Vielfalt der Wissenschaftslandschaft den Wettbewerb unter Publikationsdienstleistern fördert.
Die Öffnung von Wissenschaft und Forschungsprozessen wird in OAP auch als Maßnahme verstanden, global zu mehr Wissensgerechtigkeit (knowledge equity) beizutragen. Die UNESCO Open Science Empfehlung (2021) fordert Gerechtigkeit und Fairness als Werte, an denen sich Open-Science-Praktiken orientieren sollen:
„Equity and fairness: open science should play a significant role in ensuring equity among researchers from developed and developing countries, enabling fair and reciprocal sharing of scientific inputs and outputs and equal access to scientific knowledge to both producers and consumers of knowledge regardless of location, nationality, race, age, gender, income, socio-economic circumstances, career stage, discipline, language, religion, disability, ethnicity or migratory status, or any other grounds” (2021, 17).
Wichtig ist hierbei, dass sowohl der Lesezugriff auf Wissen als auch die Möglichkeit, Wissen zu publizieren, allen gleichberechtigt möglich sein soll. In OAP von Universitäten, Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen wird dieser Aspekt primär auf die Konsument*innen von Wissen bezogen, indem der offene Zugang zu Wissen als Mehrwert für alle verstanden wird, nicht nur für die eigenen Hochschulangehörigen.13 Insbesondere ausgehend von den Wissen-Produzierenden ist zu hinterfragen, ob Open Access zu mehr Wissensgerechtigkeit im globalen Wissenschaftssystem führt. Zuletzt haben Studien betont, dass bestimmte Geschäftsmodelle des Open Access, wie die Erhebung von Article Processing Charges (APC) oder Book Processing Charges (BPC), nachweislich zu einer Ungleichheit führen, da Autor*innen „wegen ihrer Herkunft oder mangelndem Zugang zu institutionellen Ressourcen nicht die nötigen finanziellen Mittel haben, um überhaupt oder zumindest im gleichen Maße im Open Access publizieren zu können wie andere Forschende“ (Hopf et al. 2022, 19). In dieser Art der Umsetzung wird Open Access mit einer Bezahlschranke gleichgesetzt (vgl. Ganz 2020), durch die Ungleichheiten im Open-Access-Publizieren weiter fortgesetzt werden.14
In einem Interview mit Georg W. Botz, dem damaligen Koordinator der OAP der Max-Planck-Gesellschaft im Jahr 2013, bringt dieser den Konflikt zwischen einem Bezahlmodell und Open Access auf den Punkt:
“Zunächst halte ich es für wichtig sich bewusst zu machen, dass es sich bei dem Konzept von Open Access nicht primär um ein Geschäftsmodell handelt. Es geht darum, den Grundgedanken, dass Wissen ein Gemeingut ist, in die Praxis umzusetzen. Die Geschäftsmodelle der herkömmlichen Wissenschaftsverlage beruhen hingegen auf der Verknappung des Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen” (Vogt 2013, 98).
Viele OAP verstehen im Open Access publizierte wissenschaftliche Literatur als Gemeingut, weil eine Genehmigung der Nachnutzung für wissenschaftliche Zwecke nicht notwendig ist (vgl. Suber 2006, 180). Dabei geht es nur um die wissenschaftliche Literatur, die bereits öffentlich finanziert wird und deshalb auch als öffentliche Ressource zur Verfügung stehen soll.15 Im Vergleich zu anderen Ressourcen kann Wissen und Information von vielen Nutzer*innen gleichzeitig geteilt werden, ohne dass diese Ressource sich verringert.
Um Open Access praktisch umzusetzen, braucht es eine Kulturpraxis der Offenheit, an der insbesondere Wissenschaftler*innen teilhaben. Im Programm Hamburg Open Science wird dieser Aspekt so formuliert: „Openness meint eine grundsätzliche Kultur, die durch offene Inhalte, offene Infrastrukturen und offene wissenschaftliche Prozesse gekennzeichnet ist“ (2017, FN 3).16 Solch eine Kultur der Offenheit wird als tiefgreifender Prozess beschrieben. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) betont in ihrer Stellungnahme zur Öffnung von Forschungsdaten, dass verschiedene Spannungsverhältnisse auf die Wissenschaftler*innen einwirken: Recht der Öffentlichkeit an Daten vs. schützenswerte Rechte der Datenquellen; Erkenntnisgewinn vs. Eigeninteresse; Reproduzierbarkeit vs. Schutz vor Diffamierung. Die Öffnung von Daten bedarf schon deshalb einer Kultur des Vertrauens, der gegenseitigen Wertschätzung und einer Fehlerkultur, d. h. die Bereitschaft, Fehler einzugestehen und als Möglichkeit des Erkenntnisgewinns zu nutzen (vgl. DGP 2018, 367). Dabei wird eine Kultur der Offenheit nicht als alleinige Verantwortung von Wissenschaftler*innen diskutiert, sondern als gesellschaftliche Verantwortung verstanden. Die Hochschule für angewandte Wissenschaften München betont in der Präambel ihrer OAP:
„Im Sinne der ‚Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen‘ möchte die Hochschule für angewandte Wissenschaften München (HM) ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und den freien und uneingeschränkten Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen ermöglichen und strukturell fördern“ (2020, Par. 1).
Trotz dieser Formulierungen wird Open Access in Abgrenzung zum Wert der Wissenschaftsfreiheit positioniert. Die Wissenschaftsfreiheit ist in Deutschland im Grundgesetz verankert (Art. 5, Abs. 3) und diese „umfaßt [sic] insbesondere die Fragestellung, die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung“ (§ 4, Hochschulrahmengesetz). Die Position, dass Open Access der Wissenschaftsfreiheit nicht widersprechen darf, wird deshalb in OAP erwähnt. In OAP wird dieser Wert der Freiheit17 auf eine disziplinäre Form der Wissenschaftskultur bezogen und eine freie Wahl des Publikationsweges und des -formats wird mit den Traditionen und Kulturen von Fachdisziplinen begründet. So ist sich die OAP der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg „bewusst, dass sich der Stellenwert von Open Access derzeit fachspezifisch unterscheidet, so dass in jedem Fach unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Publikationsgeschwindigkeit, Qualität, Impact Factor und Renommee sind ausschlaggebende Faktoren für die Wahl der Publikationsform“ (2011, Abs. 2). Dass sich Freiheit und Offenheit nicht widersprechen müssen, betont die OAP der Freien Universität Berlin, wenn es dort heißt: „Der Einsatz für den offenen Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen steht im Einklang mit der Wissenschafts- und Publikationsfreiheit, nach der die Wahl des Publikationsortes bei den Forschenden liegt“ (2021, 2).
Der Publikationsort, der für Forschende frei wählbar sein soll, meint häufig einen Verlag bzw. eine bestimmte Fachzeitschrift, und dies ist in vielen Disziplinen ein ausschlaggebender Aspekt, um als Wissenschaftler*in Reputation zu erlangen. Doch Publikationsorte schaffen kaum Reputation über Qualität, sondern über eine historisch gewachsene und systemisch perpetuierte Reputationsökonomie, die insbesondere die enorme Marktkonzentration von einigen wenigen Großverlagen weiter stärkt: „In den allermeisten Disziplinen entscheidet die Veröffentlichung in möglichst anerkannten Zeitschriften über Karrierewege, d. h. den Verbleib in der Wissenschaft („publish or perish“) und die Vergabe von Forschungsförderungsmitteln“ (Open-Access-Strategie Brandenburg 2021, FN 10). Wenn der Ort der Publikation und das Format der Publikation als Ausdruck von Wissenschaftsfreiheit interpretiert werden, benötigt es mehr Anstöße für die Wissenschaftler*innen ihre Reputation auf anderem Wege zu erlangen.18
OAP beschreiben Open Access aber auch als Wert, der die Reputation auf unterschiedliche Weise steigern kann und damit auch potentiell die Reputationsökonomie verändern kann. So erhöht Open Access eine allgemeine Sichtbarkeit, die zu mehr Reputation für die Wissenschaftler*innen und die Einrichtung im Allgemeinen führen kann.
Einige Hochschulen haben bereits Empfehlungen in ihre OAP aufgenommen, das Publizieren im Open Access und weitere Open-Access-Praktiken wie bspw. Open Review und das Herausgeben von Open-Access-Journalen als Leistung in Berufungs- und Bewerbungsverfahren anzuerkennen, um dadurch die Reputation der*s Wissenschaftler*in zu fördern. Dazu sei beispielhaft die Ruhr-Universität Bochum zitiert, die bereits 2013 in ihrer OAP schreibt: „Die Ruhr-Universität Bochum wird dafür eintreten, dass Open-Access-Veröffentlichungen bei der Beurteilung wissenschaftlicher Leistungen, z.B. bei Berufungs- und Bleibeverhandlungen, anerkannt werden“ (2013, 1).19
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegebene Positionspapier Wissenschaftliches Publizieren als Grundlage und Gestaltungsfeld der Wissenschaftsbewertung (2022) porträtiert diese Verquickung von Reputation, Qualitätssicherung, Marktkonzentration der Verlage und Fachkultur für das deutsche Wissenschaftssystem anschaulich. Die Arbeit mit Metriken bei der Beurteilung von Wissenschaft bezeichnet die DFG als „selbstverstärkende[n] Regelkreis“, der ein Dilemma innerhalb des Wissenschaftssystems zum Ausdruck bringt: „Selbst wenn die Überzeugung weit verbreitet wäre, sich beim Publizieren nicht an den erwarteten Kriterien der Wissenschaftsbewertung zu orientieren, bliebe diese weitgehend ohne Einfluss auf die Praxis“ (DFG 2022, 44).
In einigen OAP wird ein Engagement der Wissenschaftler*innen für Open-Access-Praktiken empfohlen (vgl. Humboldt-Universität zu Berlin 2021, 4). Eine Empfehlung oder Ermutigung reicht nicht aus, um Open-Access-Praktiken in Berufungs- und Bewerbungsverfahren als Element der wissenschaftlichen Leistung einzubringen. Eine solche Empfehlung verweist aber auf einen wichtigen Zusammenhang, der in den untersuchten OAP kaum angesprochen wird: Indem Open-Access-Praktiken wie das Engagement bei Open-Access-Publikationsorganen als Teil von wissenschaftlichen Beschäftigungsverhältnissen betrachtet werden, kann dies eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse befördern. Wenn Wissenschaftler*innen das Publikationswesen nicht länger unbezahlt und „nebenbei” erledigen müssen, wirkt dies entlastend für Wissenschaftler*innen (vgl. Ganz 2020, 8). Hier bedarf es in den OAP einer stärkeren Verbindlichkeit, Open Access in der Wissenschaft über ein breites Engagement zu interpretieren. Die Öffnung von Forschungs- und Begutachtungsprozessen (Open Peer Review, Open Code, etc.) benötigt einen höheren Arbeitsaufwand, der eben bisher kaum Eingang in die Stellenbeschreibungen von Wissenschaftler*innen gefunden hat (vgl. Ganz 2020, Abs. 2).
Die Möglichkeit, Open Access und Open Science aktiv zu praktizieren, hängt unmittelbar mit den Arbeitsbedingungen von Wissenschaftler*innen zusammen.20 Weil sich die jeweiligen Ausgangspositionen und Möglichkeiten von Wissenschaftler*innen im Open Access zu Publizieren unterscheiden, empfiehlt die Open-Access-Leitlinie der Georg-August-Universität Göttingen bspw. in ihrem Regelwerk „eine Abwägung auf Basis der Publikationskultur des jeweiligen Faches und der individuellen Karrieresituation der Autorinnen und Autoren“ (2016, Abs. 5). Eine weitere mögliche Umsetzung von Open Access durch Wissenschaftler*innen beschreibt die Fachgesellschaft Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) in ihrem Positionspapier zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationswesens. Sie fordert Wissenschaftler*innen dazu auf, Verantwortung für die Realisierung von günstigen Rahmenbedingungen für die Wissenschaftsfreiheit zu übernehmen:
„Um die Freiheit der Wissenschaft zu realisieren und zu maximieren, soll das anzustrebende Publikationswesen „von Wissenschaftlern für Wissenschaftler“ geformt werden: Entscheidungskompetenz und Verantwortung sollen wieder stärker von den Forschenden übernommen werden. Wichtig hierfür ist, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft ihrer Verantwortung nachkommt, angemessene Publikationsweisen für Forschungsergebnisse zu wählen und Entscheidungen zu Projekten und Karrieren nicht aufgrund mittelbarer bibliometrischer Kennzahlen, sondern durch direkte inhaltliche Bewertungen zu treffen” (2021, Abs. 2).
Die Werte und Normen, die in Open-Access-Praktiken verortet werden, sind nicht unbedingt als quantifizierbare Größen messbar, sondern zielen auf einen Kulturwandel innerhalb der Wissenschaft ab. Erst wenn dieser Kulturwandel innerhalb der Wissenschaft intersektional betrachtet wird, also in Abhängigkeit von anderen Rahmenbedingungen und Zwängen, haben Wissenschaftler*innen die berufliche Möglichkeit, die Praxis offener Wissenschaft wirklich als Teil guter wissenschaftlicher Praxis zu adressieren.
Zusammenfassend erweitern die hier präsentierten Ergebnisse der qualitativen Analyse ausgewählter OAP den Blick auf Diskurse der Open-Access-Transformation in Deutschland, in dem sie in Kontrast zu variablen-basierten Auswertungsverfahren analysieren, wie Open Access den Zugang zu Wissen realisiert, die Wirksamkeit von Wissenschaft und Forschung steigert und das Wissenschaftssystem mit bestimmten Werten und Normen verbindet.
Die Ergebnisse der Analyse untermauern, dass eine finanzielle Transformation des Publikationsmodells von einem geschlossenen in ein offenes Modell das Transformationsgeschehen in Deutschland nicht ausreichend beschreiben kann. Die Beziehung veränderter Finanzströme ist eine Strategie unter vielen, die der Transformation Vorschub leistet. Insbesondere die Relation von offener Wissenschaft zu anderen Teilbereichen der Wissenschaft, wie der Einfluss auf die Arbeitsbedingungen von Wissenschaftler*innen oder das Befördern von wissenschaftsethischen und -rechtlichen Diskussionen, sind in das Policy-Making einzubeziehen. Die Notwendigkeit einer Erweiterung des Transformationsgedankens von einem Fokus auf die reine Umstellung der Finanzierung zeigt sich auch in den Empfehlungen des Wissenschaftsrats. Dieser spricht nicht von einer Open-Access-Transformation, sondern von insgesamt vier Teiltransformationen: 1) die Transformation der Zugangsregime und der Geschäftsmodelle, 2) die Transformation der Nutzungsrechte, 3) die technische Transformation und 4) die Transformation der Art und Weise, wie Wissenschaftler*innen beurteilt, bewertet und anerkannt werden (vgl. Wissenschaftsrat 2022, 34–35). Die notwendigen Praktiken, um die Transformation in diesen Handlungsfeldern voranzutreiben, sind in vielen der untersuchten OAP bereits adressiert. Um diese Handlungsfelder weiter zu stärken, kann eine Erweiterung der Open-Access-Transformation und der dazugehörigen Maßnahmen dazu beitragen, Open Access als Teil eines systemweiten Kulturwandels hin zu gelebten Praktiken offener Wissenschaft zu verstehen. Diese Erweiterung wurde in den vergangenen Jahren bereits durch die ersten Open Science Policies und -Leitlinien adressiert.21 In der Open Science Policy der Universität Konstanz wird gefordert, „alle Bestandteile des wissenschaftlichen Prozesses offen zugänglich und nachnutzbar zu machen“ (vgl. Universität Konstanz, 2021). Ein wichtiger Bestandteil auf diesem Weg – so formuliert es die UNESCO Recommendation on Open Science – ist ein „enabling policy environment for open science" (UNESCO 2021, 21), d.h. die Schaffung befähigender Policy-Prozesse, die durch eine inklusive, konsultative und transparente Vorgehensweise charakterisiert sind. Im Folgenden werden die Bedarfe einzelner Stakeholder-Gruppen und deren Empfehlungen und Forderungen präsentiert, um am Ende des Landscape Reports Wege aufzuzeigen, wie ein solcher Policy-Prozess in Deutschland aussehen könnte.
Mit Hilfe von 11 Expert*inneninterviews wurde untersucht, wie Open Access Policies (OAP) in Finnland, Frankreich, Irland, Litauen, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz und Großbritannien initiiert, ausgehandelt, gestaltet und implementiert werden und wie das Monitoring dieser Policies erfolgt. Die Protokolle der Interviews wurden entlang der einzelnen, zeitlich aufeinander folgenden Phasen des Policy Cycles (s. Abb. 1) erschlossen. So konnten Aussagen zur Agendasetzung, zur Policy-Formulierung, zur Implementierung und schließlich zur Evaluation länderspezifisch aggregiert, miteinander verglichen und auf Implikationen für das Design eines bundesdeutschen Policy-Prozesses untersucht werden. Die Analyse wurde zudem in Hinblick auf die an der Politikgestaltung beteiligten Akteur*innen, die zum Einsatz gebrachten Mittel und Techniken, Probleme, Herausforderungen, Ziele und Wertungen verfeinert.
In der Antragsphase des Projektes erfolgte durch die Projektleitung eine Auswahl von europäischen Ländern, die in der Gestaltung und Umsetzung ihrer OAP als besonders progressiv identifiziert wurden (die Niederlande, Frankreich, Finnland sowie Irland, Schweden und Litauen). Zusätzlich wurden nach einer erweiterten Recherche durch die Projektmitarbeiter*innen Großbritannien, die Schweiz, Österreich und Litauen in den Kreis der befragten Länder aufgenommen. Der Fokus auf europäische Länder ist der Tatsache zu schulden, dass diese sinnvoller miteinander und mit dem deutschen Kontext vergleichbar sind.
Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der Analyse vorgestellt. Die Abfolge der Unterkapitel orientiert sich dabei an der zeitlichen Abfolge der vier Phasen des Policy Cycle: Agendasetzung, Policy-Formulierung, Implementierung und Evaluation. Im abschließenden Unterkapitel Schlussfolgerungen werden die Möglichkeiten zur Übertragbarkeit der Policy-Prozesse auf Deutschland diskutiert und entsprechende Empfehlungen abgeleitet.
3.2 Formen und Formate der Agendasetzung
3.2.2 Herausforderungen und Agendaziele
3.3.1 Konsultationstechniken und -tools
3.3.2 Akteure der Formulierungsphase
3.4.1 Herausforderungen der Implementierung
3.4.2 Formen, Techniken und Verfahren der Implementierung
3.5 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für einen bundesweiten Strategieprozess
3.5.1 Vor und während der Phase der Agendasetzung
3.5.2 In den Phasen der Formulierung und der Implementierung
Allgemein wird an nationale Policies die Erwartung geknüpft, dass sie einzelnen Institutionen, Organisationen und Wissenschaftler*innen in der strategischen Ausrichtung ihrer wissenschaftlichen Kommunikation Orientierung bieten und somit ein effektives Mittel zur Herstellung wissenschaftspolitischer Kohärenz auf nationaler Ebene bieten. Nach außen gerichtet kann eine OAP dem policy-gebenden Staat zu einem geschlossenen Auftreten gegenüber anderen Ländern verhelfen, weil die in ihnen erklärten staatlichen Mindeststandards und Absichten eine vergleichende Verortung im internationalen Open-Access-Ökosystem unterstützen. Neben dieser profilbildenden Funktion benennen OAP politikrelevante Akteur*innen und markieren Positionen für Verhandlungen zwischen staatlichen Stellen und privatwirtschaftlichen Akteur*innen. Unter dem Eindruck dieser Funktionen – orientieren, identifizieren, profilieren – bewerteten bis auf eine gut begründete Ausnahme alle Interviewten ihre OAP als Gewinn für die Entwicklung eines offenen Wissenschaftssystems in ihrem Land.
Jedes der untersuchten Länder repräsentiert einen für Open4DE relevanten Aspekt des Open Access bzw. Open Science Policy-Making:
Schweden ist repräsentativ für die erfolgreiche Implementierung einer Vielzahl einzelner Open-Access-Maßnahmen, ohne dass zusätzlich eine formal verabschiedete nationale OAP in Kraft getreten ist.
Das Interview mit Litauen erlaubt Einblicke in ein Open-Access-Ökosystem, das in besonderer Weise durch ein vitales Anpassungsbedürfnis an die Vorgaben der Europäischen Union geprägt ist.
Frankreich ist repräsentativ für eine ans Ministerium angebundene Organisation des nationalen Policy-Prozesses und verfügt über eine starke, zentrale und öffentliche Repositorien-Infrastruktur.
Österreich wurde aufgrund einer im Projektverlauf veröffentlichten Open Science Policy (BBWF 2022) nachträglich in das Sample aufgenommen.
In der Schweiz wurde 2017 eine nationale Strategie verabschiedet (vgl. Swiss National Science Foundation/swissuniversities 2017) (ein Jahr später durch einen Aktionsplan ergänzt, vgl. Marion et al. 2018), obgleich die Schweiz ebenfalls eine föderale Struktur hat und die Hochschullandschaft stark von regionalen und kantonalen Besonderheiten geprägt ist.
Die Gesprächspartner aus Irland teilten Informationen über die Funktion und Effektivität einer nationalen, eigens für Policy-Prozesse geschaffenen koordinierenden Instanz. Aufgabe dieser koordinierenden Instanz ist, möglichst viele Akteure in den Strategie- und Implementierungsprozess einzubinden.
In den Niederlanden ist die Steuerung eines Prozesses durch einen organisierten Zusammenschluss der Universitäten erfolgt und daher repräsentativ für den gelungenen Versuch, Policy-Making an die Wissenschaftsgemeinschaft zu binden.
In Großbritannien erfolgte ein Versuch, die Wissenschaftsgemeinschaft direkt durch offene Konsultationsprozesse einzubinden. Ähnlich wie in Deutschland konzentriert sich dort wissenschaftspolitische Gestaltungsmacht auf wenige gut ausgestattete Forschungsförderer.
Finnland ist repräsentativ für die Steuerung des Policy-Prozesses durch eine Organisation von Fachgesellschaften. Zusätzlich besitzt Finnland eine umfassende Strategie für Zweitveröffentlichungen auf Repositorien und einen akkumulativen Policy-Prozess mit einer modularen Open Science Policy, bestehend aus eigenständigen Policy-Papieren zu Einzelthemen.
Als Agendasetzung wird die Phase im Policy Cycle bezeichnet, in der ein Thema als politisch relevant anerkannt und deshalb auf die Tagesordnung politischer Aushandlungsprozesse gesetzt wird. In der Untersuchung war von Interesse, welche Akteur*innen und Themen treibende Kräfte dafür waren, dass Open Access bzw. Open Science politisch verhandelt wurde bzw. dass sich eine Initiative für eine nationale Strategie entwickelte. Die Analyse der Interviews hat gezeigt, dass selten ein einziges auslösendes Moment Open Access auf die Agenda setzte, sondern eine Reihe unterschiedlicher Faktoren auftraten und sich zudem schwer zu kontrollierende Kontextfaktoren und Zufälle nachhaltig auf die Politikgestaltung auswirkten.
Fragen zur Agendasetzung ermöglichten in den Interviews die Reflektion darüber, wie sich OAP in ihrem nationalen Setting historisch entwickelt haben. Dabei zeigten sich die Interviewten besonders offen und mitunter wertungsfreudig.22
Zweifelsohne hatte in nahezu allen Fällen die Ebene der EU-Politik einen großen Einfluss darauf, dass Open Access zum Thema der nationalen Wissenschaftspolitik avancierte. So beschreiben die Gesprächspartner*innen politische Prozesse auf supranationaler Ebene, insbesondere in der EU, als ausgesprochen effektive Form der Agendasetzung (vgl. Interview 2022, 03, 10). Wird Open Access zu einem rechtlichen Standard auf der Ebene der EU,23 ist die Befassung mit diesem Thema für die untergeordneten nationalen Organisationen und Institutionen zwingend.
Einzelne Interviewpartner*innen nutzten darüber hinaus die EU-Ratspräsidentschaft ihres Landes zur wissenschaftspolitischen Profilbildung und gaben den Themen Open Access und Open Science selbst Vorschub auf transnationaler Ebene, wie beispielsweise die Niederlande und Frankreich (vgl. Bärwolff et al. 2023b, 2023g). Innerhalb der Nationalstaaten sind es oft staatliche Verwaltungsorgane, die eine wichtige Rolle dabei spielen, „Aktivitäten zu initiieren” und die „Politik-Ebene zu kontrollieren” (vgl. Interview 2022, 02, 03). Dabei besitzen die jeweiligen Ministerien jedoch unterschiedlich weitreichenden inhaltlichen und administrativen Einfluss auf den politischen Prozess. Manche Ministerien übernehmen eher eine moderierende Funktion oder Finanzierungsaufgaben. So nimmt beispielsweise das finnische Ministerium an Diskussionen des Research Integrity Boards zur Gestaltung der Rahmenbedingungen von Open Science teil, hat in diesem aber keine leitende Funktion (vgl. Bärwolff et al. 2023c). Andere Ministerien bringen ihre Themen aktiver ein: In einem Fall führten ministeriale Schwerpunktsetzungen zu einem besonderen Akzent der Agenda im Hinblick auf Fragen der Datenintegrität, Datensicherheit und Datenverfügbarkeit (vgl. Interview 2022, 09).
Eine wichtige Rolle für das Vorantreiben und die Gestaltung von Open Access Policies und Strategien spielten in vielen Ländern engagierte Einzelpersonen. Dazu gehören auch Spitzenpolitiker*innen, die bspw. in der EU-Ratspräsidentschaft das Thema auf die Agenda setzten und damit auch die nationale Politik beeinflussten (vgl. Bärwolff et al. 2023g). Aber auch Expert*innen für wissenschaftliche Kommunikation oder Wissenschaftler*innen bringen durch ihr Engagement Open Access und Open Science voran (vgl. Interview 2022, 11). Hervorgehoben wurden auch wissenschaftsnahe Organisationen wie Bibliotheken (vgl. Interview 2022, 05, 11) oder Forschungsförderorganisationen, die eine nationale Strategie entweder selbst aktiv befördert und mit Dienstleistungen unterstützt oder diese von der Politik aktiv eingefordert haben (vgl. Interview 2022, 03).
In manchen Fällen wurden im Zuge der Agendasetzung neue Akteure geschaffen oder bereits bestehende, nicht offizielle Gruppen institutionalisiert, um eine Open Access- oder Open Science Agenda zu setzen und voranzutreiben. Als Beispiel wäre hier das Irische National Open Research Forum (NORF) zu nennen.24 Die Ausstattung neu geschaffener politischer Akteure bindet in besonderem Maße personelle Ressourcen und ist ggf. finanziell aufwändig. Die Neugründung ermöglichte aber eine möglichst breite Beteiligung von Organisationen. Darüber hinaus hat dieses Vorgehen eine wichtige symbolische Dimension: Die Bearbeitung eines Themenkomplexes durch eine eigens hierfür gegründete Arbeitseinheit dokumentiert die Bedeutung und erwartete Dauerhaftigkeit der Aufgaben. Die Gründung solcher Gruppen war oft wissenschaftspolitisch motiviert und erfolgte beispielsweise durch das zuständige Ministerium (vgl. Interview 2022, 05).
Oft sind es jedoch bereits etablierte und auf dem Gebiet der Publikationsinfrastrukturen erfahrene Gruppen,25 denen das Mandat für die Ausgestaltung eines Policy-Prozesses übertragen wird. So liegt die Ausgestaltung der Open-Access-Agenda in Finnland in den Händen der Federation of Finnish Learned Societies, wodurch erfolgreich eine Anbindung an Fachcommunities sichergestellt werden konnte. Auffällig war, dass in den untersuchten Ländern Wissenschaftler*innen selten als wissenschaftspolitische Akteure auftreten, obwohl diese in Bezug auf Einzelthemen Gehör finden sollten (vgl. Interview 2022, 11). Es wäre deshalb zu fragen, wodurch sich diese relative Unsichtbarkeit der Wissenschaftler*innen begründet und wie diese in den politischen Verhandlungsprozessen zu Open Access mehr Gehör finden könnten. Das Beispiel Finnland zeigt in diesem Zusammenhang, dass eine Einbindung der Wissenschaft zumindest partiell gelingen kann, wenn Institutionen oder Organisationen, die bereits eng mit der Wissenschaft zusammenarbeiten oder von ihren Vertreter*innen geführt werden, mit der Koordination eines landesweiten Policy-Prozesses beauftragt werden.
Ein gutes Agendaziel zeichnet sich durch einen zeitlich definierten Rahmen aus, der erreichbar und in konkrete, ausführbare Handlungen übersetzbar sein muss. Auch Qualitätsmerkmale wie Dauerhaftigkeit, etwa, wenn die Ziele ihrer jeweiligen Open-Access-Agenda Regierungswechsel überdauern, wurden als bedeutend hervorgehoben (vgl. Interview 2022, 09).
Neben den subjektiven Motivationen und Aktionen von Akteur*innen können auch objektive Faktoren wie wirtschaftliche Herausforderungen agendagestaltend wirken. Dabei wurde neben der technischen Evolution des Wissenschaftssystems allgemein (vgl. Interview 2022, 06) vor allem der Einfluss anderer Policies als der eigenen genannt (vgl. Interview 2022, 09). Mehrere Interviewpartner*innen hoben die Rolle transnationaler Policies für die eigene Politikgestaltung hervor. Insbesondere von Bedeutung ist die Ausgestaltung der gemeinsamen europäischen Wissenschaftspolitik durch Vorgaben des EU-Rats, auch um bei Nichteinhaltung kein Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU zu riskieren (vgl. Interview 2022, 11). Zudem wurde konkreten Papieren wie der UNESCO Recommendation on Open Science (2021), welche von den 193 Mitgliedsstaaten der UNESCO angenommen wurde, eine wichtige Rolle zugeschrieben (vgl. Interview 2022, 02, 03, 10; vgl. Meston 2021).
Darüber hinaus motivieren ökonomische Entwicklungen im wissenschaftlichen Publikationswesen wie die marktbeherrschende Rolle der Verlage Springer, Wiley und Elsevier (vgl. Interview 2022, 11) oder die Macht der Technologiekonzerne Google und Amazon (vgl. Interview 2022, 10)26 die Ausgestaltung einer nationalen OAP. Dabei wurden die bestehenden Vertragsverhältnisse mit privatwirtschaftlichen Akteur*innen als zu überwindendes Problem des Wissenschaftssystems angesehen – hier wurde explizit auf die Zeitschriftenkrise hingewiesen (vgl. Interview 2022, 11). Allerdings wurden auch die zum Teil daraufhin installierten, kostenintensiven Transformationsverträge kritisch betrachtet (vgl. Interview 2022, 01) und können daher selbst zu den Herausforderungen und Problemen gezählt werden, die Einfluss auf die Agenda nehmen.
Als hilfreich wurde die Definition übergeordneter und wertebasierter Ziele empfunden, die in der Umsetzung von administrativen und technischen Maßnahmen zur Förderung von Open Access und Open Science konkretisiert werden konnten. Diese sind z.B. „internationalization, gender equality, open science, integrity of science” oder „responsible science”(vgl. Bärwolff et al. 2023c). Eine wertebasierte Grundlage erlaubt einerseits die anzustrebende Dauerhaftigkeit der Policy-Ziele zu sichern (vgl. Bärwolff et al. 2023c). Andererseits, so auch der österreichische Gesprächspartner, sei es auf der Grundlage eines gemeinsamen Wertverständnisses möglich, konkrete Policy-Maßnahmen besser an wechselnde Umstände anzupassen (vgl. Bärwolff et al. 2023b). Unter diesen konkreten Maßnahmen wurden technische von den soziokulturellen Zielen unterschieden. Ein Gesprächspartner beschrieb sein Anliegen so, dass man in seinem Land neben der Infrastruktur auch eine Open-Science-Kultur etablieren wolle (vgl. Interview 2022, 09). Maßnahmen zum Community-Building oder zur Herstellung eines gemeinsamen Grundverständnisses von Open Access und Open Science wurden ebenfalls in die Liste der zu verfolgenden Policy-Ziele aufgenommen. Etwa im sogenannten EOSC Café des österreichischen Gesprächspartners, das explizit dem Erzeugen eines gemeinsamen Grundverständnisses gelten sollte (vgl. Bärwolff et al. 2023b).
Zudem ist den Gesprächspartner*innen ein „evidenzbasiertes Policy-Making” wichtig gewesen, d.h. die Möglichkeit des Rückbezuges der Agendasetzung auf objektivierbare, empirisch messbare Bedarfe und Probleme. Dies kann beispielsweise durch den Einbezug von Umfragen oder Studienergebnissen (vgl. Interview 2022, 06) gewährleistet werden. Aber auch die Effektivität der eigenen wissenschaftspolitischen Aktivität wurde thematisiert. Darunter fällt bspw. die Synchronisierung und Steuerung bereits bestehender Aktivitäten als bedeutendes Politikziel (vgl. Interview 2022, 03).
In der Phase der Formulierung einer OAP ist eine Koordination und Harmonisierung der Akteur*innen auf ihren jeweiligen Ebenen bedeutsam, mitunter spielen informelle Strukturen hier eine wichtige Rolle (vgl. Bärwolff et al. 2023b). Prinzipiell ist in allen Aushandlungsprozessen die Entscheidung zu treffen, wie und welche Stakeholder*innen am Prozess beteiligt werden. Eine maßnahmenstarke OAP, die von einem vergleichsweise kleinen Kreis in Geltung gesetzt wird, ist wirksamer als ein kompromissorientiertes Papier unter Beteiligung vieler Stakeholder*innen, dem möglicherweise eine höhere Akzeptanz zuzutrauen ist. Erstere sind wirksamer, letztere sind anpassbar in der Umsetzung, drohen aber wenig Impact zu haben, weil sie in Deutung und Umsetzung gewissermaßen entschärft zu werden drohen. Viele Policy-Papiere enthalten daher zugleich Umsetzungshilfen, sogenannte Guidelines oder Aktionspläne, die für die Umsetzung nötige Schritte und Maßnahmen gesondert ausweisen (vgl. National Open Research Forum 2022).
Wie groß der Kreis potentieller Autor*innen einer Policy sein soll, ist zusätzlich von den Ressourcen und der Zielsetzung abhängig. Die Interviewpartner*innen berichteten sowohl von Prozessen, in die zahlreiche, auch divergierende Interessen eingebracht werden konnten und in denen Stimmenvielfalt ausdrücklich zur Erweiterung des eigenen Blickfeldes erwünscht war27, als auch von Prozessarchitekturen, in denen der Kreis der Beteiligten bewusst klein gehalten wurde, um das Verfahren schlanker zu gestalten und inhaltlich besser kontrollieren zu können (vgl. Interview 2022, 07).
Generell gibt es eine große Spannbreite zwischen offenen und geschlossenen Verfahren: Von der Community geschriebene, diskutierte und verabschiedete Policy-Papiere (vgl. Interview 2022, 09) stehen geschlossenen Verfahren gegenüber, die auf möglichst „präzise” Texte und die Vermeidung von Lobby-Bildung durch kommerzielle Verlage zielen (vgl. Interview 2022, 07).
In der Entscheidung für oder gegen eine möglichst weitreichende Beteiligung spielt die Größe eines Landes eine Rolle. Interviewte Personen kleinerer Länder mit übersichtlicheren Wissenschaftssystemen sagten aus, dass die Integration aller artikulierten Interessen dort mit viel weniger Aufwand zu administrieren sei, als in Ländern mit vielen Stakeholder*innen (vgl. Interview 2022, 02, 10).
Wie auch die Phase der Etablierung der Agenda ist der Prozess der Politikformulierung in hohem Maße durch den Einsatz engagierter Individuen geprägt (vgl. Interview 2022, 02). Zusätzlich wurde die Möglichkeit der Anknüpfung an bestehende Organisationsstrukturen als besonders hilfreich empfunden. Genannt wurden neben Netzwerken der Open Access Community und der Fachdisziplinen auch Hochschulverbände (vgl. Interview 2022, 03). Insbesondere die Beteiligung der Informationswissenschaft und Informationsdienstleister wie Bibliotheken wurde als auffallend hoch beschrieben (ebd.).
In der Praxis werden Entscheidungen darüber, wer am Aushandlungsprozess beteiligt wird, häufig im Laufe des Prozesses und keineswegs auf Grundlage transparenter Kriterien getroffen. Zudem stellte sich heraus, dass in vielen Fällen keine Kriterien zur Auswahl der an der Formulierung beteiligten Akteur*innen genannt werden konnten. Dagegen spielte auch hier der Zufall eine Rolle, etwa, weil eine Policy-formulierende Arbeitsgruppe aus einer informellen Gruppe hervorgegangen war oder weil die Kritik privatwirtschaftlicher Akteure in einer offenen Kontroverse ausschlaggebend für ihre Beteiligung am Policy-Prozess war (vgl. Interview 2022, 06).
In Ländern, in denen eine möglichst vollständige Berücksichtigung aller Interessen in einem transparenten, geregelten und inklusiven Policy-Prozess angestrebt wurde – ein Interviewpartner sprach vom Ziel der umfassendsten Vertretung verschiedenster Interessen (vgl. Interview 2022, 02) – versuchte man dieses Ziel über die Einrichtung paritätisch besetzter Arbeitsgruppen zu erreichen. Aber auch ein Open Call mit angegliedertem Bewerbungsverfahren, in dem die Bewerber*innenauswahl durch eine als Expert*in bekannte Einzelperson getroffen wurde, war Grundlage für die Gestaltung von Beteiligungsprozessen (vgl. Interview 2022, 07). In anderen Länderbeispielen wurden offene Konsultationsverfahren gewählt: Jede*r Bürger*in, und Institution wurde eingeladen, sich an einer offenen Kommentarphase zu beteiligen (vgl. Interview 2022, 03), parallel wurden gezielt Wissenschaftler*innen angesprochen, sich einzubringen (vgl. Interview 2022, 04).
Meist arbeiteten mehrere Gruppen an der Policy-Formulierung, die mit zuvor definierten Rollen auf festgelegten Wegen und in bestimmten zeitlichen Abständen miteinander kommunizierten. So konnte das Feld gegliedert und überschaubarer gemacht werden. Infolgedessen entstanden mehrstufige Verfahren. Auf der Ebene des Policy-Dokumentes führt dieses Vorgehen zu Versionierungen mit Feedbackschleifen und entsprechendem Diskussionsaufwand (vgl. Interview 2022, 02, 08). Auf der Ebene der beteiligten Stakeholder*innen ist eine Definition des Verhältnisses der kommunizierenden Gruppen für den reibungslosen Ablauf des Prozesses bedeutsam, etwa, indem ein weiter von einem engen Teilnehmendenkreis unterschieden wird (vgl. Interview 2022, 08) oder Funktionszuschreibungen vorgenommen werden wie etwa Steuern, Beraten, Entscheiden. Die oberste, nationale Ebene ist dabei auf ein gut funktionierendes Organ zur Repräsentation von lokalen und wissenschaftlichen Akteur*innen angewiesen.
Als besondere Herausforderung in allen Beteiligungsformaten wurde die (Disziplinen-)Diversität sowie die Einbindung von Wissenschaftler*innen erachtet (vgl. Interview 2022, 03). Mittel zur Einbindung dieser und anderer Stakeholder*innen -Gruppen sind Interviews und Umfragen sowie Veranstaltungsreihen und Online-Plattformen gewesen, in denen gezielt Wissenschaftler*innen zu Diskussionsrunden eingeladen wurden (vgl. Interview 2022, 05, 11).
Zu den Mitteln, die in der Formulierungsphase verwendet wurden, zählten digitale Arbeitsumgebungen zum kollaborativen Arbeiten an Texten. Hochrangige Steuerungsgruppen wurden durch Arbeitsgemeinschaften und/oder ständige Sekretariate für Open Science intensiv vorbereitet (vgl. Interview 2022, 07). So konnten Sitzungen, in denen Policies formuliert wurden, zugleich dazu genutzt werden, Entscheidungsträger*innen über die zur Debatte stehenden Themen zu informieren (ebd.). Im Ergebnis wurde so auch in der Formulierungsphase ein evidenzbasiertes Policy-Making angestrebt (vgl. 3.2.2). Zusätzliche empirische Evidenzen, auf die sich die Policy-formulierenden Akteur*innen stützen konnten, wurden in Form von Expert*innenbeteiligungen oder in Auftrag gegebenen Studien bereitgestellt (vgl. Interview 2022, 05, 06).
In den meisten Prozessen waren die jeweiligen Wissenschaftsministerien direkt oder in Form eine*r vom Ministerium konstituierten Akteur*in vertreten – entweder in koordinierender Rolle oder inhaltlich tonangebend (vgl. Interview 2022, 02, 03, 05-10). Von dieser nationalen Ebene ausgehend wurde der Formulierungsprozess schließlich über beliebig viele Zwischenstufen den Wissenschaftler*innen vermittelt. Schlüsselakteur*innen auf diesen Zwischenebenen waren Bibliotheken und Forschungsförderer. Hier können Dachverbände wie Fachgesellschaften oder zentrale Förderer besondere Bedeutung erhalten, indem sie ihrerseits zusätzliche Policy-Dokumente formulieren, die durch ihre zentrale Position im Wissenschaftssystem quasi-nationale Verbindlichkeit erhalten (vgl. Interview 2022, 01, 04).
In der Implementierungsphase werden Policy-Maßnahmen umgesetzt, etwa indem in den Policies ausgesprochene Selbstverpflichtungen eingehalten oder Fördermaßnahmen umgesetzt werden. Ein Policy-Prozess tritt in diesem Stadium in seine kritische Phase (vgl. Interview 2022, 03, 05), denn selbst progressive Policy-Dokumente sind bedeutungslos, wenn die in ihnen festgeschriebenen Beschlüsse nicht in politisches Handeln übersetzt werden. Auf der anderen Seite sind Policy-Dokumente aufgrund ihrer Signalwirkung auf die beteiligten Stakeholder*innen bereits hilfreich bis unerlässlich für die Implementierung einer Agenda (vgl. Interview 2022, 08).
Jede Policy-Maßnahme sollte direkt oder indirekt auf der Ebene der Wissenschaft wirksam werden, bestenfalls in einer Publikationsentscheidung für Open Access. Die Vermittlung einer Policy-Maßnahme an die wissenschaftliche Praxis birgt zahlreiche Herausforderungen und fußt auf anspruchsvollen Voraussetzungen:
Die administrativ-politische Ebene benötigt gut funktionierende Kommunikationskanäle zur wissenschaftlich-operativen Ebene. Wissenschaftler*innen und ihre Infrastrukturanbieter wiederum müssen organisiert sein und koordiniert vorgehen, um gegenüber den Vorgaben der administrativen Ebene handlungsfähig zu sein.28 Daher wird die Konkretisierung der nationalen Policy im besten Fall mit Handlungs- bzw. Umsetzungsplänen unterstützt, die konkrete Hinweise zur Implementierung enthalten (vgl. Interview 2022, 02).
Wie schon bei der Policy-Formulierung wird der Umgang mit der fachlichen Vielfalt an der wissenschaftlichen Basis als herausfordernd empfunden (vgl. Interview 2022, 10). Jede von staatlicher oder förderpolitischer Ebene ausgehende Regelung muss in der Implementierung fachlichwissenschaftlichen Besonderheiten angepasst werden. Nationale Umsetzungspläne können hier auch helfen (National Open Research Forum 2022). Wie weit Umsetzungsprozesse durch Umsetzungshilfen gelenkt werden können, ist auch sehr stark vom Ausdifferenzierungsgrad des jeweiligen Wissenschaftssystems abhängig.
Bei den Überlegungen über die Form des Verfahrens der Implementierung nannten die Gesprächspartner*innen Bottom-Up vs. Top-Town-Elemente als Diskussionspunkte. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass nur mit einer Kombination von Bottom-Up und Top-Down Elementen die Übersetzung eines auf nationaler Ebene artikulierten Werteverständnisses in einzelne Maßnahmen auf der Ebene subnationaler Policies gelang: Ein Interviewpartner betonte, dass Wissenschaftler*innen primär an den Vorgängen ihrer eigenen Einrichtung interessiert sind und Politikinhalte erst als relevant erachten, wenn Maßnahmen einrichtungsspezifisch diskutiert werden (vgl. Interview 2022, 11). Für diese Rückführung an die Basis sind Vermittlungsinstanzen erforderlich, etwa die für nationale Policies eingesetzten Steuerungs- und Koordinationsgruppen (wie NORF in Irland) oder Institutionen wie Nationalbibliotheken (Schweden), Ministerien (Frankreich), Fachverbände (Finnland) oder Universitätsverbünde (Schweiz, Niederlande). Positive Erfahrungen wurden gemacht, wenn Steuerungsgruppen gezielt die Leitungsebenen dezentraler Akteur*innen mit einbezogen, wie Bibliotheksdirektor*innen oder Universitätspräsidien (vgl. Interview 2022, 02, 03, 11).
Die Implementierung einer Policy erfolgt in der Regel durch die Umsetzung der in ihr festgelegten Maßnahmen. Dabei dürfen die Maßnahmen nicht an zu restriktive Bedingungen geknüpft sein (vgl. Interview 2022, 01). In einigen der beforschten Länder, beispielsweise in Österreich oder in der Schweiz, erfolgt eine Umsetzung der Policy mit Hilfe von Projektmitteln (vgl. Bärwolff et al. 2023e). Die Projektförderung ist ein sehr flexibles, anpassungsfähiges Instrument. Ihr Nachteil ist, dass wegen der zeitlichen Limitierung von Projekten oft keine dauerhaften Strukturen, Routinen und Praxen ausgebildet werden können, die Projektergebnisse über den Förderzeitraum hinaus tragen könnten. Ein Kulturwandel, d.h. eine nachhaltige Aneignung offener Wissenschaftspraxis durch alle Stakeholder*innen, ruht aber auf dem Fundament eines abgestimmten, verstetigten und institutionalisierten Angebotes an Services, Infrastrukturen und Politikmaßnahmen, die sich durch temporäre Projektförderung nicht aufrechterhalten lassen (vgl. Bärwolff et al. 2023e).
Von den Maßnahmen, die in den Policies festgeschrieben sind, wurden von den Gesprächspartner*innen in den Interviews einige besonders hervorgehoben:
Ein präzises Bild von den in der Grafik dargestellten Maßnahmen bietet ein Vergleich der Open Access bzw. Open Science Policies der beforschten Länder.29 In der Gesamtschau der entsprechenden Dokumente fällt zunächst die auch in der Grafik erkennbare Vielfalt sowohl in Bezug auf den Grad der Konkretion als auch auf die einzelnen Themen auf. Hervorhebenswert in Bezug auf den Grad der Konkretion ist der erst 2022 veröffentlichte National Plan for Open Research 2022–2030 des National Open Research Forum NORF aus Irland. Hier werden aus „Visionen”, d.h. aus positiven Szenarien für 2030, konkrete Ziele abgeleitet, aus denen wiederum Handlungsbedarfe deduziert werden. Zugleich werden die dazugehörigen zentralen Akteur*innen identifiziert und Timelines festgelegt. So folgt beispielsweise aus der Vision „100% Open Access in 2030” das Teilziel der Unterstützung unterschiedlicher Publikationspraktiken. Die daraus abgeleitete Handlung, Bibliodiversität zu unterstützen, wird in konkrete Teilhandlungen übersetzt, darunter etwa die Durchführung einer Machbarkeitsstudie, für die sodann Verantwortliche (in diesem Falle NORF) und ein Zeitraum definiert werden (vgl. NORF 2022, 13–16). Eine vergleichbare Implementierungsmethode wird in der Open Science Policy der Niederlanden angewandt, in der Handlungsempfehlungen nach Organisationsebenen differenziert werden.
Handlungsempfehlungen, die im Vergleich der Policies der untersuchten Länder vermehrt genannt werden, sind neben der oben bereits erwähnten Förderung von Bibliodiversität (Bundesministerium Bildung, Wissenschaft und Forschung et al. 2022, 10–11) unter anderem die Förderung alternativer Geschäftsmodelle (Ministry of Higher Education, Research and Innovation 2021, 10) Trainingsmaßnahmen (Netherlands Nationaal Programme Open Science 2022, 14; National Open Research Forum 2022, 8–9), die Schaffung bzw. der Ausbau offener Infrastrukturen (Policies aller hier genannten Länder), die Förderung von Multilingualität (Minitére de L'enseignement Supérieur de la Recherche et de l'Innovation 2021, 10) und die Verabschiedung untergeordneter Policies (National Open Research Forum 2022, 18). In einigen Papieren wird zusätzlich die Verantwortung für Berichts- und Prüfpflichten festgelegt (Research Council of Lithuania 2016, VI).
Die Policies geben keine oder nur wenig Hinweise auf Themen, die erst in Zukunft mehr Raum einnehmen werden. Hier sind aber die Interviews informativ gewesen. Die Interviewpartner*innen haben, wie in der Grafik oben leicht erkennbar, in auffälliger Einigkeit auf die Forschungsbewertung hingewiesen (vgl. Interview 2022, 01-03, 06, 07, 09-11), die bereits in den jüngst veröffentlichten Policies, wie der Irischen, ausführlich gewürdigt wird (National Open Research Forum 2022, 11). Auch das Thema Bibliodiversität d.h. die Ausweitung des Offenheitsparadigmas auf andere Formen des qualitätsgeprüften wissenschaftlichen Ausdrucks (vgl. Interview 2022, 03), wurde mehrfach als Zukunftsthema erkannt und findet Niederschlag beispielsweise in der französischen Open Science Policy (Ministère de L'enseignement Supérieur de la Recherche et de l'Innovation 2021). Ferner wird in den Bereichen Open Educational Resources (vgl. Interview 2022, 03, 11), Open Data (vgl. Interview 2022, 03) und Citizen Science (vgl. Interview 2022, 11) eine dynamische Entwicklung erwartet. Konsequenz dieser zunehmenden Themenvielfalt ist die Ausweitung des Open-Access-Paradigmas zu einem umfassenderen Begriff von Open Science, was sich vor allem darin niederschlägt, dass die jüngst veröffentlichten Papiere diese vielfältigen Themen teilweise oder vollständig in einer Open-Science-Strategie vereinen.
Die Äußerungen der Interviewpartner*innen lassen erkennen, dass von Deutschland eine stärkere strategische Beteiligung an der Entwicklung von Open Science und Open Access auf der Europäischen Ebene erwartet wird (vgl. Interview 2022, 03). Zugleich ist anzunehmen, dass zahlreiche mit der Transformation des Publikationssystems verbundene Reformvorhaben, wie beispielsweise die Reform der Leistungsbewertung bzw. der Reputationssysteme, nur dann effektiv umsetzbar sind, wenn sie, wie die wissenschaftliche Kommunikation selbst, international abgestimmt umgesetzt werden.
Im Vergleich der beforschten europäischen Länder sind erhebliche Unterschiede zwischen ihren OAP feststzustellen, sowohl hinsichtlich der Formen des Agendasetzens als auch in Bezug auf die Methoden der Policy-Formulierung, der Implementierung und der Evaluation. Zusammenfassend lassen sich aber Maßnahmen empfehlen, die die Gesprächspartner*innen als besonders zielführend in der Gestaltung ihrer nationalen Policy bezeichnet haben und die zugleich Hinweise auf die erfolgreiche Gestaltung eines möglichen Policy-Prozesses in Deutschland enthalten.
Für die Aufnahme eines bundesweiten Policy-Prozesses ergeben sich folgende Empfehlungen:
Für die Erstellung einer nationalen Policy sollte eine koordinierende Instanz eingerichtet werden, die 1) für die Einbindung der Akteur*innen sorgt, 2) eine zentrale Anlaufstelle für Fragen aus dem In- und Ausland zum nationalen Policy-Prozess bietet sowie 3) Aktivitäten im Bereich der Implementierung und des Monitorings bündelt und 4) mit einer Aufwertung des Arbeitsbereiches Open Access und Open Science einher geht.
Es sollten persistente Policy-Ziele durch parteiübergreifende Einigungen festgeschrieben werden, die auch politische Konjunkturen überdauern, und hilfreich für die mehrjährige Arbeit an modularen Policies sind sowie Maßnahmen ermöglichen, die nach Evaluation angepasst werden können.
Es sollte ein evidenz-basiertes Policy-Making genutzt werden, da empirische Untersuchungen Policy-Maßnahmen und Zielsetzungen plausibel erscheinen lassen und ihre Akzeptanz steigern.
Es sollten wissenschaftsethische Grundsatzdiskussionen geführt und befördert werden, um den intendierten Kulturwandel hin zu Praktiken offener Wissenschaft zu erreichen.
Es sollten die Vorteile einer individuellen Partizipation deutlich gemacht werden, um die Einbindung von Wissenschaftler*innen in Politikbildungsprozesse erfolgversprechend zu gestalten.
Es sollten Kritiker*innen gezielt adressiert werden, indem sie auf die Vereinbarkeit von Open Access mit ihrer eigenen Agenda aufmerksam gemacht werden .
Der Formulierungsprozess einer OAP sollte auf Gruppen mit verschiedenen Funktionen aufgeteilt werden. Dadurch kann das Informieren und Beraten mit vielen und das Entscheiden mit wenigen so formalisiert werden, dass im Prozess kollaborativer Politikgestaltung zugleich Vielfalt und Handhabbarkeit und ein reibungsloser Ablauf möglich sind.
Es sollten mehrstufige Verfahren implementiert werden, aus denen aufeinander bezogene Dokumente hervorgehen. Solch ein akkumulatives Policy-Making teilt die komplexen Verfahren der Politikbildung in Einzeletappen auf. In Aktionsplänen werden bspw. die in den Policy-Dokumenten festgelegten Ziele konkretisiert und sie zeigen Implementierungs- und Anwendungsperspektiven auf.
Zuständige Ministerien als koordinierende und teilweise inhaltlich gestaltende Funktion sollten in einen Policy-Prozess einbezogen werden, um die Bereitschaft zur Mitarbeit an den Policy-Papieren zu erhöhen.
Zentrale Forschungsförderer und Infrastrukturanbieter*innen sollten zwischen der Governance-Ebene und den Einrichtungen sowie den Forschenden als Vermittler*innen eingesetzt werden.
Neue Maßnahmen sollten mit Unterstützungsangeboten hinterlegt werden, damit Änderungen zu mehr Offenheit nicht als Belastung wahrgenommen werden.
Bei projektgeförderten Maßnahmen, die in kleinerem Rahmen erprobt werden, sollte die Skalierbarkeit im Blick behalten werden, wenn eine Anwendung dieser Maßnahmen im nationalen Rahmen beabsichtigt ist.
Im Juni und September 2022 wurden zwei Workshops mit Referent*innen für Open Access aus den Ländern und dem BMBF durchgeführt (vgl. Bärwolf et al. 2023n; 10-11; Bärwolff et al. 2023j). In den Workshops wurden die Herausforderungen und Chancen der Umsetzung von Open Access aus der Perspektive der Landesregierungen und des Bundes diskutiert und die Rollen und Handlungsfelder der Stakeholder*innen „Bund und Länder” in diesem Prozess reflektiert. Dazu wurde die Open-Access-Landschaft in Deutschland in ein internationales Verhältnis gesetzt und ein Stakeholder-Governance-Modell für einen bundesweiten Prozess diskutiert (vgl. Bärwolff et al. 2022j). Zudem wurden Einzelgespräche mit einigen Referent*innen geführt, die in den Workshops abwesend waren. In den Gesprächen lagen die Schwerpunkte auf der Beurteilung der (nicht-)vorhandenen Infrastrukturen und Policies, der Einschätzung eines nationalen Open-Access-Prozesses und den Bedarfen seitens der Ministerien, um die Querschnittsthemen Open Access und Open Science sinnvoll zu bearbeiten (vgl. Bärwolff et al. 2023n, 8). An dem seit 2019 regelmäßig stattfindenden „Austausch von Bund und Ländern zu Open Access” haben Projektmitarbeiter*innen von Open4DE teilgenommen. Seit 2020 arbeitet diese Arbeitsgruppe in unterschiedlicher Zusammensetzung an einem Positionspapier zu Open Access, welches in weiteren Unterarbeitsgruppen ausformuliert und im Plenum diskutiert und kommentiert wurde. Die Auswertung dieses Prozesses fließt ebenso in den folgenden Bericht ein (vgl. Bärwolf et al. 2023n, 5).
In der folgenden Darstellung wird zunächst die Ausgangslage beschrieben. Hier liegt der Fokus auf den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung von Open Access und auf dem Status Quo, der anhand des Open-Access-Publikationsaufkommens ermittelt wird (vgl. Kapitel 4.1). Darauf aufbauend werden die Rolle und die Verantwortung definiert, die Länder und Bund in der Open-Access-Transformation bereits einnehmen und in Zukunft stärker einnehmen können (vgl. Kapitel 4.2). Abschließend wird der bereits stattfindende Austausch zwischen Bund und Ländern ausgewertet, um Vorschläge für einen weiteren bundesweiten OAP-Prozess zu generieren (vgl. Kapitel 4.3).
4.1 Wissenschaftspolitische Ausgangslage
4.1.1 Der rechtliche Rahmen für die Standardisierung von Open Access
4.1.2 Open-Access-Publikationsaufkommen auf Bund- und Länderebene
4.2.1 Strategische Ausrichtung auf Bund- und Länderebene
4.2.2 Policy-Prozesse gestalten: Teilhabe und Vernetzung
4.3 Zusammenarbeit und fehlender politischer Auftrag
4.4 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für einen bundesweiten Strategieprozess
Parteipolitisch ist das Thema Offene Wissenschaft auf Bundesebene immer wieder Teil von Wahlprogrammen und Koalitionsverträgen.30 Zur Bundestagswahl 2021 forderte Die Linke, „Open Access für Forschungsergebnisse standardmäßig durch[zu]setzen”. Weiter heißt es: „Was mit öffentlichen Geldern gefördert wurde, muss der Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung stehen” (Die Linke 2021, 77). Auch die SPD verspricht, „Wir werden deshalb mehr Fördergelder für Open Science und Wissenschaftskommunikation bereithalten” (SPD 2021, 21). Bündnis 90/Die Grünen wollen Open Access zum Standard erklären und „als wissenschaftliche Leitidee etablieren” (Die Grünen 2021, 83). Im Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten” der Regierungskoalition zwischen CDU, CSU und SPD von 2013–2017 wurde noch geplant „eine umfassende Open Access Strategie [zu] entwickeln, die die Rahmenbedingungen für einen effektiven und dauerhaften Zugang zu öffentlich finanzierten Publikationen und auch zu Daten (open data) verbessert” (CDU/CSU und SPD 2017, 134). Im darauffolgenden Koalitionsvertrag 2017-2021 wurde die Entwicklung einer „nationale[n] Open-Access-Strategie” zugesagt (CDU/CSU und SPD 2018, 33). Dieser politische Wille zur nationalen Steuerung der Open-Access-Transformation wurde durch die Regierungskoalition 2021–2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP umformuliert. Nun heißt es dort ähnlich wie in den Wahlprogrammen: „Open Access wollen wir als gemeinsamen Standard etablieren” (2021, 18). Wie dieser Standard aussehen kann und etabliert werden soll, war Thema der Untersuchung mit der Stakeholder-Gruppe Bund und Länder.
Es zeigt sich anhand einzelner Programme, Förderlinien und Stellungnahmen über die letzten zwei Jahrzehnte, dass ein generelles parteipolitisches Interesse daran besteht, öffentlich geförderte Wissenschaft auch offen zugänglich zu gestalten.31 Um Open Access praktisch zum Standard zu machen, muss dies über gemeinsam gestaltete, bundesweit gültige Rahmenbedingungen geschehen. Das auf Bundesebene für die Entwicklung von Open Access verantwortliche Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat Open Access als Grundprinzip in der Förderung verankert, indem eine Open-Access-Klausel 2016 Bestandteil der Förderregularien wurde: Wissenschaftler*innen sollen, sobald sie durch das BMBF geförderte Forschung publizieren möchten, entweder über eine Erstveröffentlichung in Zeitschriften bzw. Büchern (Gold Open Access bzw. goldener Weg) oder eine Zweitveröffentlichung in Repositorien (Green Open Access bzw. grüner Weg) nach den Prinzipien von Open Access veröffentlichen. Open Access Gold und Green werden als gleichwertige Wege anerkannt und politisch gefördert (vgl. BMBF 2016, 8). Laut Richard Van Noorden haben Forschungsförderer*innen jedoch weitere Möglichkeiten, um Open Access effektiv voranzutreiben: das Zurückhalten von Förderung, wenn Fördergeldempfänger*innen nicht Open Access publizieren (bspw. Wellcome Trust, National Institute of Health) und das Erfassen von Open-Access-Publikationen für die Vergabe von Fördergeldern. Letzteres kann sich auf Fördermittel von Forschungsförderer*innen beziehen, bspw. für die Evaluation in Form von Forschungsaktivitäten (vgl. Research Excellence Framework in Großbritannien) und auf die Fördermittel von Institutionen, bspw. für die interne Vergabe von Be-/Förderungen. An der University of Liège in Belgien werden nur in lokalen Repositorien abgelegte Artikel für Gehaltserhöhungen oder Beförderungen in Betracht gezogen (vgl. Van Noorden 2014, Abs. 7 ff.).32 Aufgrund fehlender Vergaberichtlinien in Bezug auf Open-Access-Publikationen bleiben beim BMBF beide Möglichkeiten unausgeschöpft.
Auf der einen Seite hat das BMBF mit der auf die eigenen Förderprogramme bezogenen Open-Access-Strategie den politischen Willen gegenüber Verlagen und Wissenschaft kommuniziert, Open Access zum Standard zu machen. Auf der anderen Seite sind die rechtlichen Rahmenbedingungen im Urheberrechtsgesetz so formuliert, dass Wissenschaftler*innen in Deutschland ihr Recht auf Zweitveröffentlichung nur eingeschränkt durchsetzen können.
Auf Bundesebene schuf die Novellierung des Urheberrechts im Jahr 2013 die rechtlichen Rahmenbedingungen für Green Open Access, indem sie ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht (ZVR) implementierte (vgl. Bruch/Pflüger 2014). Mit der Mehrheit von CDU und FDP wurde 2013 im Bundestag das ZVR beschlossen, in dem Änderungswünsche der Wissenschaftsorganisationen und des Bundesrates keine Berücksichtigung fanden. Ein Auszug aus dem Paragraph 38 (4) des Urheberrechtsgesetzes lautet: „Der Urheber eines wissenschaftlichen Beitrags, der im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit entstanden und in einer periodisch mindestens zweimal jährlich erscheinenden Sammlung erschienen ist, hat auch dann, wenn er dem Verleger oder Herausgeber ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt hat, das Recht, den Beitrag nach Ablauf von zwölf Monaten seit der Erstveröffentlichung in der akzeptierten Manuskriptversion öffentlich zugänglich zu machen, soweit dies keinem gewerblichen Zweck dient.”
Ein Kritikpunkt zielte zunächst auf die Einschränkung ab, dass nur Publikationen, die „im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit entstanden sind”, berücksichtigt werden können (Pampel 2013, Par. 4). Diese Einschränkung wurde unter anderem von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen als diskriminierend beurteilt, denn das ZVR gelte für Forschungsergebnisse an Hochschulen nur dann, wenn sie mindestens zur Hälfte mit Drittmitteln gefördert würden (vgl. Allianz 2013, Par. 3). Dies führe außerdem zu Rechtsunsicherheit, denn bei Kooperationen zwischen Einrichtungstypen sei eine Zuordnung einer Publikation nicht immer umsetzbar (vgl. Allianz 2013, Par. 5).
Gängige Interpretationen des Urheberrechtsgesetzes deuten diese Passage allerdings so, dass §38(4) grundsätzlich fast alle Forschung an Hochschulen betrifft und damit Kooperationen weniger entscheidend sind (vgl. BMBF und dbv 2019, 27–28). Daneben gibt es allerdings weitere Kritikpunkte, denn die Embargofrist von 12 Monaten und die Begrenzung auf ein Publikationsformat, dass „in einer periodisch mindestens zweimal jährlich erscheinenden Sammlung erschienen ist”, erschwert den Wissenschaftler*innen eine öffentliche Zugänglichmachung ihrer Forschung (vgl. Deutscher Bundestag 2013). Grundsätzlich sind Monografien, Sammelbände, Festschriften u.a. vom ZVR nicht erfasst.
In der Praxis werden die Herausforderungen des Zweitveröffentlichens vor allem in Bibliotheken, die eine solche Dienstleistung anbieten, gelöst (vgl. Kreutzer und Fischer 2022). Blasetti et al. haben die Bedeutung und Möglichkeiten solcher sogenannter Zweitveröffentlichungsservices für wissenschaftliche Bibliotheken detailliert beschrieben (vgl. Blasetti et al. 2019). Das FAQ der Arbeitsgruppe „Rechtliche Rahmenbedingungen” der Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen zeigt ebenso praktische Wege auf, das Urheberrecht im deutschen Kontext zu interpretieren (vgl. Schwerpunktinitiative „Digitale Information” 2015).
Im Jahr 2014 wurde im Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg erstmals eine neue Regelung zum ZVR eingeführt. Dieses soll die Hochschulen dazu verpflichten, eine Satzung zur Zweitveröffentlichung zu erlassen, die wiederum die Wissenschaftler*innen dazu verpflichten soll, ihr ZVR wahrzunehmen. Die Universität Konstanz setzte diese Regelung als einzige Universität in ihrer hochschuleigenen Satzung um (vgl. Universität Konstanz 2015). Gegen diese in den Universitätsgremien verabschiedete Satzung des Landeshochschulgesetzes klagten 17 Professoren*innen der Universität Konstanz (16 Professor*innen der juristischen Fakultät und ein*e Kolleg*in der Literaturwissenschaft). Bis heute gibt es keine Entscheidung in diesem Fall.33
Das bestehende deutsche Urheberrecht verunsichert Autor*innen, indem keine klar formulierte Möglichkeit der Zweitverwertung erlaubt wird. Eine Stellungnahme von Wikimedia fordert deshalb 2013 in Bezug auf die durch Drittmittel geförderte Forschung: „Geregelt werden kann dies durch Vergaberichtlinien, die aber dann nicht auf ein Zweitveröffentlichungsrecht, sondern die Verpflichtung zur Open-Access-Publikation hinauslaufen sollten und zwischen fördernder Einrichtung und Fördermittelempfänger vereinbart werden” (Wikimedia 2013, Abs. 2).
Auf der Landesebene wurde im Zuge der Modernisierung der Hochschulgesetzgebung die Förderung von freiem Zugang zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen in den Hochschulgesetzen einiger Bundesländer verankert (Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen) (vgl. Kindling et al. 2022b). In vielen OAP auf Einrichtungsebene wird insbesondere auf die Bedeutung der Nutzungsrechte verwiesen, die ein*e Autor*in dem Verlag einräumen kann. Dabei empfehlen OAP den Urheber*innen von wissenschaftlichen Forschungsartikeln, Verlagen kein „ausschließliches”, sondern ein „einfaches” Nutzungsrecht einzuräumen. Dadurch können die Urheber*innen selbst die Entscheidung treffen, ob und wie die eigenen Forschungsergebnisse zweitveröffentlicht werden können. Sobald bspw. einem Verlag die „ausschließlichen” Nutzungsrechte eingeräumt werden, kann dieser anderen Personen die Nutzung des Werkes untersagen. Dies kann sonst nur die*der Urheber*in (vgl. Wissenschaftsrat 2022, 98).
Gerade weil bisherige Geschäftsmodelle von Verlagen auf Nutzungsrechten aufbauen, ist es für Urheber*innen mitunter schwierig, sich gegen die Widerstände von großen Verlagshäusern durchzusetzen. Häufig wird den Verlagen, wie es in Printpublikationen üblich war, ein „ausschließliches” Nutzungsrecht eingeräumt. Dadurch kann ein hoher Anteil von öffentlich finanzierter Forschung in Deutschland überhaupt erst nach einer Embargoperiode von 12 Monaten zweitveröffentlicht werden (vgl. § 38(4) Urheberrechtsgesetz). Verlage bieten häufig ein digitales Format wie ebook kostenpflichtig an und nach dem Verstreichen einer Embargoiperiode von 12-24 Monaten wird das ebook Open Access gestellt.34
International haben Allianzen wie die cOAlition S35 Wege aufgezeigt, wie Einrichtungen die Forschungsergebnisse der dort beschäftigten Wissenschaftler*innen sofort Open Access publizieren können. Die Rights Retention Strategy des Plan S36 sieht vor, dass die Urheber*innen unabhängig vom Ort der Publikation ihrer Forschungsergebnisse ihre akzeptierte Manuskriptversion eines begutachteten wissenschaftlichen Artikels (Author Accepted Manuscripts) oder eine bestimmte Version of Records (VOR) unter einer offenen Lizenz wie Creative Commons bei einem Verlag einreichen. Diese offen lizenzierte Version wird dann auf einem Repositorium durch die Hochschule veröffentlicht. Die DFG als „zentrale Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft in Deutschland” hat 2018 in einem Statement bekannt gegeben, nicht an cOAlition S teilzunehmen (DFG 2018b, Abs. 4) und dies u.a. damit begründet, „dass Open-Access-Verpflichtungen auch zu erhöhten Publikationsgebühren (Article Processing Charges, APC) führen können – ein Effekt, den es zu minimieren gilt.” (ebd.).37
In der Europäischen Kommission gibt es Bestrebungen, einen einheitlichen Standard im Urheberrecht zu erreichen, der das Open-Access-Publizieren von öffentlich geförderter Forschung innerhalb der EU regelt. Innerhalb der „European Research Area policy agenda: overview of actions for the period 2022-2024”38 wird analysiert, ob die einschlägigen EU-Urheberrechtsvorschriften den Zugang zu und die Weiterverwendung von wissenschaftlichen Veröffentlichungen fördern oder behindern, bspw. aufgrund von Urheberrechts- und Lizenzbedingungen in Verlagsverträgen. Darauf aufbauend sollen mögliche legislative und nicht legislative Maßnahmen geprüft werden, um einen für die Forschung geeigneten Rahmen zu schaffen (vgl. European Commission 2022, 5–6). Auch wenn mit der Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes 2013 bereits national Schritte unternommen wurden, ein unveräußerliches Recht auf Zweitveröffentlichung für wissenschaftliche Artikel zu sichern, ist diese Grundlage ohne eine Verpflichtung zur Veröffentlichung in Open Access weniger effektiv (vgl. Scheufen 2015, 144).
Für die Ausgestaltung des gesetzlichen Rahmens benötigt es außerdem auch juristische Beratungsmöglichkeiten für Wissenschaftler*innen, denn Forschende sehen sich komplexen und vielfältigen Fragestellungen gegenüber, bspw. im Bereich der Lizenzierung. Die Landesinitiative Open Access in Nordrhein-Westfalen bietet eine juristische Beratung an39 und ebenso der NFDI4Culture legal helpdesk40. Diese Modelle sind übertragbar auf andere Bundesländer und auch als gemeinsames Modell von Bund und Ländern sinnvoll.
Insbesondere die Veränderungen der Publikationsformate von PDF hin zu „enhanced publications”41, die häufig an wissenschaftlichen Einrichtungen selbst entstehen, erfordern von wissenschaftlichen Bibliotheken u.a. komplexe Prozesse der Rechteklärung (vgl. dbv 2018, 14–15). Auch deshalb stellt der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) in dem 2018 veröffentlichten „Strategiepapier zur Gestaltung von Zukunftsaufgaben im wissenschaftlichen Bibliothekswesen” die Forderung an Bund und Länder, das Urheberrecht weiter zu entwickeln (vgl. dbv 2018, 17–18). Brandenburg und Berlin haben u.a. in ihren OAP angekündigt, sich für eine Überarbeitung des §38 UrHG einzusetzen (vgl. Brandenburg 2019, 182; Berlin 2015, 17). Bisher sind diese Bestrebungen nicht spürbar und somit bleibt Deutschland weit hinter dem Ziel zurück, Open Access zum Standard zu machen. Hier gilt es, eine klar formulierte Möglichkeit der Zweitveröffentlichung im Urheberrecht sicherzustellen und dadurch ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht zu implementieren.42 Erst dadurch kann auch eine Standardisierung und Vereinheitlichung von Workflows für Zweitveröffentlichungen bundesweit entwickelt werden.
Laut Auswertungen von Daten des Open Access Monitor Deutschland43 hat sich der Open-Access-Anteil bei wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln von 36 % im Jahr 2014 auf 73 % im Jahr 2022 verdoppelt (Abbildung 4). Der Anteil stieg in allen Bundesländern, wobei er in Mecklenburg-Vorpommern am größten war: 2014 hatte dieses Bundesland mit 27% die niedrigste Quote und lag 2022 mit 74% genau im Durchschnitt. Am Anfang wie auch am Ende des Betrachtungszeitraums war Brandenburg Spitzenreiter mit 46 % bzw. 81 %, gefolgt von Bremen mit 43 % bzw. 78 %.
Abbildung 5 zeigt die Verteilung der Closed-Access-Anteile und der verschiedenen Arten von Open Access im Jahr 2022, aufgeschlüsselt nach Bundesländern. In allen Bundesländern ist Gold Open Access die am häufigsten vertretene Publikationsart, zumeist gefolgt von Hybrid (in drei Bundesländern ist der „Closed“-Anteil leicht größer als der „Hybrid“-Anteil). Insgesamt haben die Bundesländer Open-Access-Quoten zwischen 71 % und 81 %. Dies ist eine deutlich geringere Spreizung als 2014, wo die Quoten zwischen 27 % und 46% lagen. Die Verhältnisse haben sich somit angenähert – auf deutlich gestiegenem Niveau. Sichtbar wird in Abbildung 5 auch der noch deutlich ausbaufähige Anteil von Diamond Open Access.
Transformationsverträge, insbesondere diejenigen, die durch das DEAL Konsortium44 bundesweit verhandelt wurden, haben dazu beigetragen, den Anteil der Open-Access-Artikel über Bundesländergrenzen hinweg deutlich zu erhöhen. Zum Erhebungszeitraum August 2021 sind über 50% des gesamten deutschen wissenschaftlichen Publikationsaufkommens in Zeitschriften der drei größten Verlage Springer Nature, Elsevier und Wiley veröffentlicht worden (vgl. Wissenschaftsrat 2022, 19). Ob dies in Zukunft weiterhin so bleibt, ist jedoch unklar. Zudem entwickelt sich die Open-Access-Transformation in Deutschland unterschiedlich. Auf Ebene der Einrichtungen zeigen sich Ungleichheiten schon dadurch, dass die publikationsstarken Einrichtungen durch die DEAL-Verträge nicht nur sehr hohe Publikationskosten tragen, sondern auch einen sehr hohen Personalaufwand für die Administration aufbringen müssen (vgl. Kindling et al. 2022a, 32; Borchert und Heinrich 2021). Zugleich zeigen Erhebungen wie der „Open Access Atlas Deutschland” auf der Ebene der Bundesländer, dass der Umsetzungsstand innerhalb der Ministerien sowohl in der strategischen Ausrichtung als auch in Bezug auf den Organisationsgrad unterschiedlich ist (vgl. Kindling et al. 2022b; Bärwolf et al.2023n). Manche Bundesländer haben schon früh über Landesministerien Ziele gesetzt und Maßnahmen entwickelt, andere haben bis heute kaum Zuständigkeiten für das Thema Open Access in ihren Ministerien definiert. Im Projektzeitraum wurden Interviews mit Referent*innen aus Wissenschaftsverwaltungen in Bundesländern und dem Bund geführt, um mit denjenigen ins Gespräch zu kommen, die an dem Projekt-Workshop und -Roundtable nicht teilgenommen haben. In den Interviews lag der Schwerpunkt auf der Beurteilung der (nicht-)vorhandenen Infrastrukturen und Policies, der Einschätzung für einen nationalen Policy-Prozess und den Bedarfen seitens der Ministerien bzw. des Bundes, um die Querschnittsthemen Open Access und Open Science sinnvoll zu bearbeiten. Im Folgenden wird die wissenschaftspolitische Steuerung der Open-Access-Transformation aus Perspektive der Wissenschaftsverwaltungen in den jeweiligen Ministerien diskutiert.
Auf Länderebene gibt es zum Teil durch die jeweiligen Landesregierungen verabschiedete, eigene Strategien und Leitlinien für Open Access (Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein). Daneben wird Open Access auch in Wissenschafts- bzw. Hochschulentwicklungsplänen sowie Digitalstrategien erwähnt (vgl. Kindling et al. 2022b). Einige Länder benennen im Rahmen dieser Strategien zum Teil konkrete Zielstellungen wie beispielsweise eine Open-Access-Quote für Zeitschriftenartikel (Berlin 2015, 5), die Benennung von Open-Access-Beauftragten und die Verabschiedung von OAP an allen Einrichtungen in Landesverantwortung (Berlin 2015, 5-6), ein Monitoring der Open-Access-Publikationszahlen (Thüringen 2017, 2), eine klare Positionierung der Hochschulleitungen zu Open Access (Brandenburg 2019, 13) oder eine kooperative technische Infrastruktur (Hamburg 2017, 5). Einige Bundesländer unterstützen Open Access durch andere Instrumente der Hochschulsteuerung. So wird eine Unterstützung für Open Access im Wissenschaftsplan (Bremen 2019, 20-21), im Hochschulentwicklungsplan (Sachsen 2016, 66), in den Zielvereinbarungen (vgl. bspw. Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt und Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2020, 6) oder in den Digitalstrategien der Länder erwähnt (bspw. Rheinland-Pfalz 2018, 12-13; Hessen 2016, 142). Andere Bundesländer unterstützen die wissenschaftlichen Landeseinrichtungen durch gezielte Maßnahmen, beispielsweise über bestimmte Projekte („openaccess.nrw“ in Nordrhein-Westfalen oder „Implementierung von Open Access an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften und den Pädagogischen Hochschulen“ in Baden-Württemberg, vgl. Halbherr/Reimer 2022), über einen Open-Access-Publikationsfonds (Schleswig-Holstein 2020), über Open-Access-Vernetzungsstellen (Open-Access-Büro Berlin45, Vernetzungs- und Kompetenzstelle Brandenburg46, Landesinitiative openaccess.nrw47) oder über die Finanzierung von Openness als Querschnittsthema (Bremen 2020, 6). In anderen Bundesländern gibt es noch keine expliziten wissenschaftspolitischen Positionierungen, dafür viele Einrichtungen mit einem etablierten Open-Access-Serviceangebot (bspw. Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz) (vgl. Kindling et al. 2022b).
Als wichtige Aufgabe des Bundes und der Länder ist die Mitgestaltung der Rahmenbedingungen zu nennen. Neben Rahmenbedingungen wie der Finanzierung, der rechtlichen Situation, der Infrastruktur und der Forschungsförderung konnten durch die Analyse von OAP weitere Aspekte identifiziert werden, bei denen Bund und Länder die Open-Access-Transformation bereits mitgestalten oder in Zukunft stärker mitgestalten können.
Eine Verantwortung der Ministerien liegt darin, selbst eine Open-Access-Praxis vorzuleben, denn häufig werden von Ministerien herausgegebene Dokumente ohne persistente Identifikatoren wie DOIs oder stabile URLs publiziert. Das Handlungsfeld offener Verwaltungsdaten (Open (Government) Data) ist viel diskutiert und zum Teil bereits im Prozess der Umsetzung. Das Open-Access-Publizieren von Eigenpublikationen sollte ebenso auf die Agenda gesetzt werden, sofern rechtliche Rahmenbedingungen dies zulassen. Zudem besitzen die Ministerien eine Verantwortung dafür, den Mehrwert von Open Access für die Gesellschaft zu kommunizieren, auch im Bereich der Landeseinrichtungen. Häufig werden die Vorteile, die durch Open Access erzielt werden, auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovation reduziert, insbesondere wenn ein Mehrwert im Austausch mit der Wirtschaft gesucht wird. Dabei gilt es den Blick für Gerechtigkeitsfragen zu weiten und diese auch im globalen Zusammenhang zu verorten. Gerechtigkeitsfragen können im Bedeutungsfeld Open Access bspw. über einen demokratisierten Informationszugriff adressiert werden, der einen Mehrwert für die Gesamtgesellschaft generiert (vgl. Kapitel 2.3). Die Notwendigkeit für diese politische Arbeit ist nicht nur an der Basis sinnvoll, also mit den Wissenschaftler*innen selbst, sondern auch innerhalb der Landesministerien haben unterschiedliche Vorurteile gegenüber Open Access und Open Science Bestand. Diese reichen von Missverständnissen und Skepsis bis hin zu Unwissen (vgl. Interview 2022, 24–27). Vorurteile können dann die Situation erschweren, wenn Open Access und Open Science als parteipolitische Themen behandelt werden. So können Anträge zur Finanzierung spezifischer Open-Access-Infrastrukturen mit der Begründung abgelehnt werden, dass diese parteipolitisch motivierte Perspektiven vertreten, die im jeweiligen Bundesland keinen Widerhall finden (vgl. Interview 2022, 24).
Zugleich ist das Umsetzen von Empfehlungen eine der Hauptaufgaben, denen Landeseinrichtungen nachkommen, bspw. indem Strategien und Policies auf Länderebene veröffentlicht werden und Positionspapiere und Leitlinien deutscher Wissenschaftsorganisationen unterstützt werden. Diese Dokumente sind Ergebnisse eines zeitgebundenen Diskurses und bedürfen einer Aktualisierung. In regelmäßigen Abständen beschlossene Pläne und Verträge zwischen dem Land und den Einrichtungen können auch deshalb eine wichtige Rolle spielen. Bund und Länder nehmen durch hochschulpolitische Entwicklungspläne Einfluss auf die Umsetzung von nationalen und internationalen Empfehlungen. In den Zielvereinbarungen zwischen dem jeweiligen Land und den Hochschulen können bestimmte Ziele festgehalten werden, denen Hochschulen sich in Bezug auf Open Access verpflichten (bspw. der Ausbau von Services und Infrastrukturen oder die Beteiligung an nationalen Initiativen wie der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur, u.a.). Zugleich können bestimmte Leistungen festgehalten werden, die das Land gegenüber den Hochschulen erbringt, zumeist in Form einer finanziellen Förderung.
Die Frage ist allerdings, anhand welcher Indikatoren Open Access dann gemessen wird? Das Erfassen der Publikationszahlen mit der Zielsetzung einer Open-Access-Quote wird von Gesprächspartner*innen als wichtiges Instrument verstanden, um den Erfolg der Umsetzung von Open Access zu messen. Monitoring wird in in einigen Ländern auf Länderebene durchgeführt (siehe Berlin48 und Brandenburg49) und auf nationaler Ebene durch den Open Access Monitor (OAM)50, der auch Auswertungsmöglichkeiten auf Länder- und Einrichtungsebene bietet. Auch Einrichtungen können zur Open-Access-Berichterstattung in Hochschulverträgen zwischen dem Land und der Einrichtung angehalten werden, wie es bspw. in den Hochschulverträgen 2018–2022 mit Berliner Hochschulen vereinbart wurde (vgl. Berlin und Technische Universität Berlin 2018, 30). Eine Open-Access-Quote zum Ziel zu setzen scheint ein dankbares politisches Instrument zu sein, da Ergebnisse messbar werden. Allerdings sind Quoten nicht immer sachlich sinnvoll, insbesondere dann, wenn sie den Blick auf Publikationsformate wie Zeitschriftenartikel verengen und damit das Feld verzerren. Schon beim Erfassen des Publikationsaufkommens und auch der damit zusammenhängenden Erfassung von Kosten (u.a. Informationsbudget) sehen sich sehr viele Einrichtungen vor informationsinfrastrukturellen Herausforderungen wie zum Beispiel nicht ausreichenden Datengrundlagen (vgl. Kindling et al. 2023). Laut Wissenschaftsrat ist das Erfassen jedoch die „Basisinfrastruktur[en] für das wissenschaftliche Publizieren”, das es organisatorisch und finanziell nachhaltig abzusichern gilt (Wissenschaftsrat 2022, 83). Zudem bedarf eine Diversifizierung der Berichtsstrukturen auf verschiedene Publikationsformate und -praktiken weiterer Entwicklung, Implementierung und damit Finanzierung, aber auch politischer Unterstützung.
Hinsichtlich der Kosten verweisen Wissenschaftsorganisationen, Forschungsförderer und Hochschulen auf das Problem zunehmend untragbarer Kosten für APCs und BPCs sowie einer Kostenintransparenz für Publikationsdienstleistungen mit kommerziellen Verlagen (Wissenschaftsrat 2022, 19). Im Zuge der DEAL-Verhandlungen wurde bspw. ermittelt, dass die Preisschwankungen für die Aufwendungen der Bibliotheken für unterschiedliche Zeitschriftenpakete der Verlage bei ungefähr 60 % liegen, trotz identischem Forschungs- und Publikationsprofil (vgl. Botz 2021, 33). Der Rat der Europäischen Union hat am 23. Mai 2023 ein Papier verabschiedet, in dem diese Problematik adressiert wird und mit der Forderung verbunden wird, nicht-kommerzielles Open-Access-Publizieren verstärkt zu fördern:
Council of the European Union […] ENCOURAGES Member States and the Commission to invest in and foster interoperable, not-for-profit infrastructures for publishing based on open source software and open standards, in order to avoid the lock-in of services as well as proprietary systems, and to connect these infrastructures to the EOSC (Council of the European Union 2023, 8).
Als Antwort auf diese Schlussfolgerungen haben verschiedene europäische Forschungsförderer, -organisationen und -netzwerke gemeinsam ihre Unterstützung ausgedrückt. Mit dem Verweis, dass auch die nationalen und regionalen Behörden diese Bemühungen durch ihre eigenen Finanzierungsprogramme und Rechtsvorschriften unterstützen sollten (vgl. European University Association (EUA) et al. 2023). Auch die DFG begrüßt diese Schlussfolgerungen und fügt in einem Statement hinzu:
Keinesfalls darf es zu einer Situation kommen, in der die Verfügbarkeit von Mitteln über die Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs entscheidet. Die DFG begrüßt daher den Fokus der Ratsschlussfolgerungen auf die Unterstützung von an Forschungsorganisationen angesiedelten Open-Access-Infrastrukturen, die ohne von Autorinnen und Autoren zu zahlende Publikationsgebühren und Gewinnabsichten operieren (DFG 2023c, Abs. 5).
Um die verfügbaren, finanziellen Mittel besser einsetzen zu können, haben die cOAlition S und die Fair Open Access Alliance (FOAA)51 bereits Kriterien für eine Kosten- und Preistransparenz vorgeschlagen, die in den Journal Comparison Service (JCS)52 von cOAlition S eingegangen sind. Damit soll mehr Transparenz in Bezug auf die von Verlagen geleisteten Dienstleistungen und Gebühren gefördert werden (vgl. Plan S 2022). Zudem gibt es Prinzipien und Kriterien der Offenheit und Transparenz, die verschiedene Organisationen und Verlage festlegen, darunter fallen auch Fragen der Geschäftspraktiken (vgl. COPE et al. 2022; Arning et al. 2022a; Rooryck/Vries 2018; Vries 2019). Brembs et al. haben in dem Artikel „Replacing Academic Journals” Vorschläge erarbeitet, wie Gelder von Verlagen in neue offene Infrastrukturen umgeleitet werden können. Wichtig sei hier, dass die Fördereinrichtungen ihre Mindestanforderungen an die Infrastruktur der Empfängereinrichtungen erweitern, damit diese die Funktionen der Zeitschriften ersetzen und ergänzen können (vgl. Brembs et al. 2023).
Der allgemein geforderte Umschwung auf offene, nicht-kommerzielle Infrastrukturen für das Publizieren bedarf aber einer „angemessenen Regulierung”, wozu u.a. eine Reform des Urheberrechts gehört (vgl. Brembs et al. 2023, 10). Denkbar wäre es zudem, aus den bereits erarbeiteten Prinzipien ein Siegel oder Zertifikat für Open-Access-Publikationsdienstleister zu entwickeln, das Kosten- und Preistransparenz, das Einhalten bestimmter Qualitätssicherungsstandards und Fairness-Prinzipien im Open-Access-Publizieren zu standardisieren hilft. Solche Siegel oder Zertifikate können als Belohnung und Bestätigung für die Nachhaltigkeit und Fairness im Open-Access-Publizieren dienen. Zudem können bspw. Finanzierungsentscheidungen einzelner Publikationsprojekte durch öffentliche Gelder vereinfacht und der Wettbewerb unter Publikationsdienstleistern gefördert werden.
Finanzielle Unterstützung ist der stärkste Anreiz, mit dem die Ministerien Open Access in ihren jeweiligen Bundesländern weiter voranbringen können. Häufig mangelt es jedoch für die von den Ländern unterstützten Projekte bereits an Anschlussförderungen (vgl. Interview 2022, 24). Wenn kein Geld für Open Access vorgesehen ist, bleibt dieses Thema in strategischen Papieren oder in Gesetzen häufig unerwähnt (vgl. Interview 2022, 24). Zugleich bestätigen die Befragten, dass es einen gewissen politischen Druck gibt, sich mit der Thematik zu befassen. Landesministerien stimmen auch über die Empfehlungen deutscher Wissenschaftsorganisationen ab, so dass die Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Wissenschaftsrats (WR) nicht ignoriert werden können (vgl. Interview 2022, 26).
Die Gestaltung der Teilhabe an wissenschaftspolitischen Prozessen gehört zu den Aufgaben der Landesministerien. Die Zugänglichkeit von Forschung wird in OAP von Universitäten und Hochschulen häufig auf die Institutionen und deren Angehörigen beschränkt. Zugriff sollte im Sinne von offener Wissenschaft jedoch für alle Menschen möglich sein, weshalb OAP auf Länderebene eine besondere Rolle einnehmen, um die Gesamtgesellschaft zu adressieren. Gesprochen wird im wissenschaftspolitischen Diskurs dann häufig für die wissenschaftliche Community, ohne diese in Strategieprozessen zu repräsentieren. Dies ist ein Problem, das besonders im Prozess der Konsolidierung von übergeordneten Strategien auffällig ist. In Gesprächen zeigte sich jedoch, dass Ministerien in Frage stellen, warum sie sich überhaupt durch Strategien auf Landesebene „einmischen” sollen (vgl. Interview 2022, 25). Mit Blick auf die Hochschulautonomie ist umgekehrt eine „Einmischung” der Ministerien an den Hochschulen ebenso kaum erwünscht. Betont haben die Gesprächspartner*innen immer wieder, dass Bedarfe seitens der Hochschulleitungen zu den Themen Open Access und Open Science deshalb erstmal den zuständigen Personen in den Ministerien angezeigt und eingefordert werden müssen. Wissenschaftspolitische Defizite im Bereich Open Access entstehen demnach auch dadurch, dass Akteur*innen nicht auf das Ministerium zugehen, um ihre Bedürfnisse und Forderungen kenntlich zu machen. Erst dann könne das Ministerium aber mit Hilfe von Arbeitsgruppen Themen bearbeiten oder bspw. Arbeitspapiere zu spezifischen Fragestellungen in Auftrag geben und möglichst viele Akteur*innen beteiligen (vgl. Interview 2022, 26). Zudem kritisieren einige Gesprächspartner*innen, dass OAP auf Landesebene aufgrund der Teilhabe vieler Akteur*innen nicht unbedingt einen Mehrwert besitzen. Die Aufforderung an Einrichtungen, selbst OAP zu erlassen, erziele häufig mehr positive Effekte (vgl. Interview 2022, 26).
Aus Perspektive einiger Referent*innen liegt eine besondere Verantwortung bei den Bibliotheken, denn dort sei das Thema angesiedelt. Bibliotheken übernehmen bereits eine koordinierende Rolle auf Länderebene (vgl. Interview 2022, 24, 25). Zum Teil beteiligen sich auch Ministerien selbst an den Initiativen und laden Akteur*innen aus Hochschulleitungen und Bibliotheksleitungen in regelmäßigen Abständen zum Thema Open Access ein, um die Bedarfe, Herausforderungen und den Entwicklungsstand zu erheben (vgl. Interview 2022, 26).
Um Wissenschaftler*innen selbst besser an den Prozessen teilhaben zu lassen, betonten einige Gesprächspartner*innen die für ihre Arbeit wichtige Funktion der Open-Access-Professionals, insbesondere dann, wenn sie aus der Wissenschaft selbst kommen und nicht aus den Bibliotheken. So sei der Kontakt zur Wissenschaft besser möglich. Zudem wurde die Notwendigkeit betont, qualifiziertes Fachpersonal an den Hochschulen zu finanzieren. Dies sei eine gute Möglichkeit, um Open Access und Open Science für die Wissenschaftler*innen aufzuarbeiten, beratend tätig zu werden und den Status Quo zu erheben (vgl. Interview 2022, 25). Außerdem wird seitens der Ministerien der Anspruch erhoben, dass die Wissenschaft sich zunächst selbst einigen sollte und es nicht immer von Vorteil ist, wenn das Ministerium in diesen Diskussionen anwesend ist (vgl. Interview 2022, 24–26). Einige Gesprächspartner*innen betonen auch, dass sie die Vertreter*innen des Ministeriums nicht in der Verantwortung sehen, sich aktiv an Diskussionen zu beteiligen. Vielmehr gehe es darum, in eine bereits vorhandene offene Diskussion einzusteigen, um Lösungen zu finden (vgl. Interview 2022, 24).
Die befragten Referent*innen der Landesministerien beziehen sich bei der Frage, wie Wissenschaftler*innen an wissenschaftspolitischen Prozessen teilhaben können, auf drei Ebenen: 1) der*die einzelne Wissenschaftler*in wird in der Funktion der*des Open-Access-Professional adressiert, 2) die Hochschulleitungen werden als Sprachrohr der Wissenschaften gegenüber dem Ministerium verstanden, und 3) die großen Wissenschaftsorganisationen werden als Vertretung „der Wissenschaft” im bundesweiten, wissenschaftspolitischen Raum gesehen. Laut der Gesprächspartner*innen können dann auch nur die Wissenschaftsorganisationen die Forderung nach einer bundesweiten Strategie artikulieren. Zugleich kann nur der Bund auf die Wissenschaftsorganisationen zugehen und solche Prozesse anstoßen, einzelne Ministerien haben dieses Mandat nicht (vgl. Interviews 2022, 27).
Für die Zusammenarbeit von Ministerien und Hochschulen werden außerdem Personalstellen gebraucht, um Kompetenz zentral zu bündeln. Da Ministerien sich häufig nur „nebenbei” mit der Materie befassen können, gibt es dort nicht immer die nötige Kompetenz, um Open Access und Open Science wirklich voranzutreiben. Ministerien brauchen die Wissenschaftler*innen, die Bibliotheken und die Hochschulleitungen, um diese Themen inhaltlich zu bearbeiten. Als Good Practice sind die Landesinitiativen hervorzuheben, die die Themen Open Access und Open Science fachlich und strategisch auf Länderebene begleiten, organisieren und erheben (Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein).
Innerhalb der Ministerien benötigt es ebenso einen höheren Grad an Vernetzung. In den Gesprächen wurde deutlich, dass Open Access und Open Science als Themen für Ministerien häufig schwierig zu bearbeiten sind. Es werden gezielte Vernetzungsbemühungen innerhalb der Referate benötigt, denn Open Access ist als Querschnittsthema in Abteilungen angesiedelt, in denen Schwerpunkte sehr unterschiedlich gelagert sein können: Forschung, Informationsinfrastrukturen, Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz. Personal aus verschiedenen Abteilungen und mit unterschiedlichen Themenzuschnitten ist deshalb gefordert, zu Open Access zusammenzuarbeiten (vgl. Interview 2022, 24, 26). Abhängig davon, in welchen Bereichen Open Access bearbeitet wird, werden auch die Schwerpunkte innerhalb der Ministerien anders gesetzt. Ob Open Access als Teil der Forschung oder Digitalisierung verstanden wird, verändert die jeweiligen Policy-Maßnahmen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es auf Bund- und Länderebene eine Vielfalt an Aktivitäten gibt und eine heterogene Organisationsstruktur dieser Aktivitäten. Verantwortlichkeiten der Akteur*innen für das Thema auf Länderebene sind nicht eindeutig (Hochschulleitungen, Ministerien, Wissenschaftler*innen, Bibliotheken, u.a.). Auch wenn die Verankerung des Themas in Hochschulentwicklungsplänen wie Hochschulverträgen von Vielen als sinnvoll bezeichnet wird, geschieht dies nicht überall und zudem nicht immer in Kombination mit einer finanziellen Förderung. Finanzielle Förderungen sind auf Bund- und Länderebene zum großen Teil durch Projektförderung möglich, die keine nachhaltige Entwicklung zulässt. Zudem sind parteipolitische Wahlperioden häufig ausschlaggebend für das Maß der Aktivität an Bundes- und Landesministerien. Gleichzeitig sind bundesweit vorhandene Maßnahmen zum Teil wenig aufeinander abgestimmt. Die vorhandenen Empfehlungen und Positionspapiere vom Wissenschaftsrat und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu den Themen Open Access und Open Science werden allerdings von Bund und Ländern mitgetragen. Dies verweist darauf, dass viele Akteur*innen sich in der Sache einig sein müssten. Was wird aus Sicht der Ministerien gebraucht, damit in der Wissenschaft die Ziele auch umgesetzt werden? Und was kann ein bundesweiter Prozess zur Open-Access-Transformation beitragen, wenn es schon reichlich OAP, Leitlinien und Positionspapiere gibt?
Zum Thema Open Access arbeiten Bund und Länder auf verschiedenen Ebenen zusammen. In der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK), die sich aus Wissenschafts- sowie Finanzminister*innen von Bund und Ländern zusammensetzt, behandeln die Mitglieder Fragen der wissenschafts- und forschungspolitischen Strategien der Wissenschaftsförderung und des Wissenschaftssystems.53 Im Jahr 2007 haben Bund und Länder das „GWK-Abkommen” erlassen, ein Verwaltungsabkommen, das die Möglichkeit für eine gemeinsame Förderung durch Bund und Länder festschreibt (vgl. BMBF und Länder 2007). Die seit 2008 gegründete Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich Wissenschaft und Forschung fußt auf Artikel 91b Absatz 1 des Grundgesetzes: „Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre zusammen wirken. Vereinbarungen, die im Schwerpunkt Hochschulen betreffen, bedürfen der Zustimmung aller Länder.” Innerhalb der GWK gibt es keine eigenständige Arbeitsgruppe zu den Themen Open Access und Open Science. Die erste DEAL-Konferenz54 hat auf Antrag eine ad hoc Arbeitsgruppe zu DEAL in der GWK eingesetzt, in der sowohl Ländervertreter*innen als auch Externe eingeladen sind und deren Vorsitz momentan Sachsen und das BMBF innehaben. Die Schwerpunktinitiative „Digitale Information” der Allianz der Wissenschaftsorganisationen (vgl. Kapitel 5) berichtet einmal jährlich in diesem Ausschuss (vgl. Interview 2023, 28).
Ab 2008 wurde in der GWK die Forschungsförderinitiative von Bund und Ländern im Pakt für Forschung und Innovation (PFI) fortgeschrieben. Der aktuelle PFI IV läuft von 2021 bis 2030 und enthält Zielvereinbarungen mit den außeruniversitären öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Leibniz-Gemeinschaft sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (vgl. BMBF 2019). Im Jahr 2025 sollen die erreichten Ergebnisse in der GWK bewertet und erneut Zielvereinbarungen für die zweite Hälfte der Laufzeit bis 2030 verabschiedet werden (GWK 2019, 4). Unter anderem wollen Bund und Länder die „Einrichtung eines Strategieentwicklungsraums weiter in der GWK” beraten, um gemeinsam die Umsetzung strategischer Ziele zu unterstützen (ebd., 4). Dabei ist es für einen bundesweiten Strategieprozess von besonderer Bedeutung, welche Themen im Bereich Open Access und Open Science eigentlich auf Bund- und Länderebene behandelt werden sollen und können.
Die DFG hat in ihrem Positionspapier zur „Förderung von Informationsinfrastrukturen für die Wissenschaft” aus dem Jahr 2018 darauf hingewiesen, dass der Erfolg von Informationsinfrastrukturen in der Wissenschaft davon abhängt, ob diese eine überregionale Nutzung entwickeln und langfristig zur Verfügung stehen können: „Das setzt die Bereitschaft zur Kooperation und Abstimmung voraus. Ebenso setzt es aber organisatorische (um akzeptierte und wirksame Kooperation und Abstimmung zu etablieren), rechtliche (um über Bundesländer hinweg kooperieren und finanzieren zu können) und finanzielle (um von einer Projekt- zu einer Strukturförderung zu kommen) Rahmenbedingungen voraus, um zu nachhaltigen, nicht auf einen bestimmten Standort begrenzte Diensten zu kommen” (DFG 2018a, 17). Auf die rechtlichen Rahmenbedingungen wurde weiter oben bereits eingegangen (vgl. Kapitel 4.1.1). Im Bereich der Strukturförderung gibt es bereits klare Forderungen, wie die Sektion 4 „wissenschaftliche Universalbibliotheken” des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv) in ihrem „Strategiepapier zur Gestaltung von Zukunftsaufgaben im wissenschaftlichen Bibliothekswesen” 2018 veröffentlicht hat. Dort wird die für die Zukunft entscheidende Entwicklung „von Ownership zu Access” aufgezeigt, an deren Verwirklichung Bibliotheken maßgeblich beteiligt sind (dbv 2018, 8). Für die Realisierung werden auch Bund und Länder explizit aufgefordert, den Wandel politisch und strategisch stärker zu unterstützen. Dazu gehört auch eine bessere Kooperation auf Bund- und Länderebene. Wissenschaftliche Bibliotheken sind in ihren Beschaffungsmaßnahmen von Kauf, Lizenzierung, Dokumentlieferung und Open-Access-Publikationen „auf nationale Konsortialstrukturen und auf nachhaltige Finanzierungen von Seiten der »Stakeholder« auf Bundes und Länderebene angewiesen” (dbv 2018, 15). Forderungen der wissenschaftlichen Bibliotheken beinhalten die Übernahme der folgenden Versorgungsaufgaben von Bund und Ländern: nachhaltige Förderung von Fachinformationsdiensten (FID), der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) e.V., der Langzeitarchivierung und der dauerhaft digitalen Zugänglichmachung von Kulturdaten (vgl. dbv 2018, 20,23–24, 26). Diese Formen der Zusammenarbeit auf Bund und Länderebene benötigen teilweise eine national abgestimmte Strategie und die Unterstützung für bundesweite Kooperationen (vgl. Kindling et al. 2022b, 46, 15; dbv 2018, 22).
Durch die Stärkung von wissenschaftlichen Einrichtungen als Publikationsdienstleister wird zudem, laut Wissenschaftsrat, „die Innovationsfähigkeit, Kostentransparenz und Kosteneffizienz des Publikationssystems” deutlich verbessert (Wissenschaftsrat 2022, 36). Deshalb fordert der Wissenschaftsrat „dauerhaft tragfähige Finanzierungsmodelle für Diamond-Zeitschriften und -Reihen” zu schaffen (Wissenschaftsrat 2022, 68).55 Einige wissenschaftliche Einrichtungen in Deutschland betreiben selbstverwaltete und nachhaltige Publikationsdienste für Open-Access-Zeitschriften als auch Open-Access-Bücher, die sich an den Bedürfnissen der Wissenschaftler*innen ausrichten (vgl. Arning et al. 2022b, 1). Weil wissenschaftliche Einrichtungen dadurch in den Wettbewerb mit anderen Publikationsdienstleister*innen treten, benötigt es Unterstützung von Bund und Ländern, um ggf. die rechtlichen Voraussetzungen für Verlagsaktivitäten durch Hochschulen zu schaffen (vgl. dbv 2018, 18). Für den zukünftigen Erfolg offener Publikationsinfrastrukturen benötigt es eine bundesweite Stärkung dieser Strukturen und ein politisches Bekenntnis zur Umsetzung von Open Access durch Bund und Länder (vgl. Bärwolff et al. 2023h; Müller 2020; Cueva und Méndez 2022, 64).
Die Erfahrungen in anderen Ländern, in denen Publikationsinfrastrukturen wie etwa ein nationales Zeitschriften-Hosting entwickelt und betrieben werden, demonstrieren die Vorteile solcher Infrastrukturen (vgl. Becerill et al. 2021; Kapitel 3).56 Plattformgestützte Publikationsinfrastrukturen, die nicht nur den institutionell eingebundenen Wissenschaftler*innen offen stehen und neben technischen Möglichkeiten auch Kompetenz- und Wissen im Open-Access-Publizieren vermitteln, ist eine der Hauptforderungen des scholar-led.networks57 (vgl. Bärwolff et al. 2023h). Für eine nachhaltige und offene Publikationsinfrastruktur ist die Kooperation zwischen Einrichtungen, aber auch innerhalb einzelner Bundesländer und über Bundesländergrenzen hinweg notwendig.
Der „Bund und Länder Austausch zu Open Access” ist eine Arbeitsgruppe, in der sich wenig formalisiert seit 2019 Referent*innen der Länder und des BMBF treffen. Dort entstand ein Positionspapier zu Open Access, in dem u.a. die Absicht einer zukünftigen Zusammenarbeit ausgedrückt wird. Die Erarbeitung des Leitlinienpapiers wurde vom Projekt Open4DE seit 2020 begleitet und im Rahmen der vom Projekt Open4DE organiserten Workshops intensiv diskutiert. Diese „Leitlinien von Bund und Ländern zu Open Access” wurden im März 2023 von Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger und länderseitig in der Amtschefskonferenz der Kultusministerkonferenz am 28. April 2023 angenommen. Bund und Länder wollen damit „der zentralen wissenschaftspolitischen Bedeutung von Open Access Rechnung” tragen (vgl. Kultusminister Konferenz 2023).
Das Dokument besteht aus 10 Leitlinien, die im allgemeinen eine Fortführung der bisherigen Wissenschaftspolitik beschreiben. Dazu gehört die hochschulpolitische Steuerung der Open-Access-Transformation durch Strategien und Pläne, sowie eine stärkere Kooperation unter den Stakeholdern. Positiv hervorzuheben ist, dass sich Bund und Länder auch zum notwendigen Kultuwandel hin zu offener Wissenschaft äußern:
In Zukunft sollte im Rahmen von Evaluationsprozessen die Bewertung der Inhalte einzelner Artikel der pauschalen Qualifizierung der diese Forschung publizierenden Zeitschriften vorgezogen werden. Bund und Länder ermutigen die akademischen Einrichtungen, die DORA-Deklaration58 zu unterzeichnen und in diesem Sinne zu handeln (vgl. Bund und Länder 2023, 3).
Zudem wird dazu ermutigt, der „immer stärkeren Kommerzialisierung von öffentlich finanzierten wissenschaftlichen Publikationen” etwas entgegen zu stellen, bspw. indem „Diamond-Open-Access-Modelle in Konkurrenz zu gebührenfinanzierten Modellen” ausgebaut werden (vgl. ebd. 4). Bund und Länder bekennen sich auch zu mehr Vielfalt im Publikationssystem und wollen mit gutem Beispiel vorangehen, indem Eigenpublikationen von staatlichen Akteur*innen Open Access publiziert werden sollen, sofern dies rechtlich möglich ist (vgl. ebd. 4). Impliziert wird jedoch kaum etwas in den Leitlinien, denn es werden keine politischen Maßnahmen angekündigt. Insbesondere bei den rechtlichen Rahmenbedingungen wäre ein Papier von Bund und Ländern eine gute Chance gewesen, gemeinsam Maßnahmen für ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht anzustoßen.
Im Prozessverlauf zu diesem Leitlinien Papier zeigte sich deutlich das Fehlen einer strategischen Schnittstelle auf Bund- und Länderebene. In Gesprächen wurde betont, dass es unklar ist, wo in den Bund- und Länderverwaltungen Fragen von Open Access und Open Science verhandelt werden können und auch ist unklar, mit welchen Verfahren die Open Access und Open Science betreffenden Maßnahmen implementiert werden können.
Es gibt kein Gremium, dass in der Lage wäre, einen verbindlichen Vorschlag für die Verteilung von Zuständigkeiten und für einen verbindlichen Prozess zu machen. Auch wie die die Schnittstelle zwischen Bund, GWK und Wissenschaftsorganisationen konkret organisiert ist, bleibt den Gesprächspartner*innen unklar (vgl. Interview 2022, 16). Außerhalb von DEAL gibt es keine strategische Verankerung zwischen Bund, GWK und Wissenschaftsorganisationen, was u.a. auch auf die fehlende Aufmerksamkeit für die Themen zurückgeführt werden kann. Die DEAL-Verhandlungen stehen im Fokus und somit treten andere Themen der Open-Access-Transformation wie Green und Diamond Open Access oder andere Transformationsverträge in den Hintergrund (vgl. Interview 2022, 16). Dies ist auch insoweit problematisch, als das Diamond Open Access als nicht-kommerzielles, APC- und BPC-freies Open Access durch verschiedene Initiativen und Positionspapiere als nachhaltiges Finanzierungsmodell auf europäischer Ebene strategisch platziert wird.59
Aufbauend auf dem Leilinienpapier von Bund und Ländern und der darin geäußerten Absicht auch in Zukunft die Open-Access-Transformation kommunikativ zu begleiten und das Verständnis für Zusammenhänge zu schärfen, wäre es wünschenwert eine hochrangige Arbeitsgruppe zu den Themen Open Access und Open Science einzurichten, möglicherweise innerhalb der GWK. Diese könnte die strategische Schnittstelle darstellen, um die notwendige Unterstützung für eine bundesweite, nachhaltige Kooperation und einen Prozessverlauf zu bieten. Aus der Perspektive vieler Länder kann eine solche Arbeitsgruppe primär auf Initiative der Wissenschaftsorganisationen gebildet werden (vgl. Interview 2022, 27).
Es gibt Bedarfe und Forderungen von Seiten der Infrastruktureinrichtungen, die Open-Access-Entwicklung über Bundesländergrenzen hinweg zu finanzieren, strategisch zu unterstützen und zu organisieren. Auch wenn es diverse Aktivitäten auf Bundes- und Länderebene gibt, sind diese kaum synchronisiert und damit bleiben Potentiale gemeinsamer Infrastrukturnutzung und bundesweiter Zielsetzungen und Maßnahmen ungenutzt. Das Fehlen einer strategischen Schnittstelle in den vorhandenen Gremien zeigt zudem die Notwendigkeit, eine formalisierte Bearbeitung auf Bund- und Länderebene zu ermöglichen. Durch einen politischen Auftrag kann eine strukturierte Beobachtung und Bewertung aktueller Entwicklungen und darauf aufbauend ein formalisierter Prozess der Strategieentwicklung organisiert werden. Zusammenfassend können nachfolgende Empfehlungen formuliert werden.
Für die Aufnahme eines bundesweiten Policy-Prozesses ergeben sich folgende Empfehlungen:
Es sollte für die Themen Open Access und Open Science eine bundesweite Arbeitsgruppe geben, die 1) ihr Verhältnis zu anderen Akteur*innen im Policy-Prozess klärt, 2) nachhaltige finanzielle Unterstützung entwickelt und 3) internationale Abkommen und Empfehlungen diskutiert und für den deutschen Kontext zu implementieren sucht (bspw. Plan S).
Es sollte eine gemeinsame wissenschaftspolitische Agenda entwickelt werden, die parteiübergreifend und zugunsten der Gesellschaft gesetzt wird.
Es sollten Open Access und Open Science als Themen nicht zwingend getrennt in den Ministerien angesiedelt werden.
Es sollte in den Wissenschaftsverwaltungen kompetentes Personal mit den Themen betraut werden.
Es können durch einen bundesweiten Policy-Prozess Kooperationen zwischen Einrichtungen und innerhalb von Ministerien sowie über Bundesländergrenzen hinweg formalisierter gefördert werden.
Es sollte ein politisches Bekenntnis von Bund und Ländern geben, wie Open Access zum Standard gemacht werden soll (s. offene Publikationsinfrastrukturen und nicht-kommerzielles Open Access).
Ein Policy-Prozess profitiert von Open Access Professionals als Vermittler*innen zwischen Wissenschaft und Politik.
Ein Policy-Prozess sollte bottom-up entstehen und Akteur*innen sollten ihre Forderungen an die Ministerien stellen.
Es braucht den Antrieb durch die Wissenschaft, d.h. der Wille und die Motivation sollte von der Allianz-Initiative ausgehen und dieser Wille sollte sich in den wissenschaftlichen Communities widerspiegeln.
Wissenschaftsorganisationen60 sind neben Vertreter*innen von Bund und Ländern (vgl. Kapitel 4) und Fachorganisationen (vgl. Kapitel 6) die dritte Stakeholder*innen-Gruppe, die untersucht wurde. Im ersten Projektabschnitt wurden dazu u.a. die Open-Access- bzw. Open-Science-Strategien der Wissenschaftsorganisationen in Deutschland qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet und in die Beschreibung der Ausgangslage der Open-Access-Transformation (vgl. Kapitel 2) einbezogen.
In einem weiteren Schritt wurden Vertreter*innen der zentralen Wissenschaftsorganisationen zu einem Stakeholder*innen-Workshop eingeladen, der Anfang September 2022 online stattfand. Ziel des Workshops61 war die Reflektion des bisherigen Umsetzungsstands der Open-Access-Transformation sowie das Erheben von Anforderungen an die weitere Entwicklung von OAP in Deutschland. Die Diskussionsergebnisse des Stakeholder*innen-Workshops wurden im Anschluss in Expert*inneninterviews mit einzelnen Organisationsvertreter*innen vertiefend ausgewertet. Dabei konnten spezifische Themen aufgegriffen und weitergeführt werden. Teil der leitfadengestützten Interviews war auch die Einschätzung der weiteren Entwicklung der Open-Access-Transformation in Deutschland sowie potentielle strategische Ansatzpunkte und Gestaltungsmöglichkeiten. Insofern dienten die Expert*inneninterviews auch als Vorbereitung des gemeinsamen Strategieworkshops im Dezember 2022, an dem die Vertreter*innen der Wissenschaftsorganisationen ebenfalls teilnahmen.
5.1.1. Allianz der Wissenschaftsorganisationen: Schwerpunktinitiative „Digitale Information”
5.1.2 Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
5.1.4 Hochschulrektorenkonferenz (HRK)
5.2 Agendasetzung: Handlungsfelder und strategische Instrumente
5.2.3 Reform der Forschungsevaluation
5.3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für einen bundesweiten Strategieprozess
Die großen Forschungsorganisationen und Forschungsförderer spielten für die Durchsetzung und Gestaltung von Open Access in Deutschland von Anfang an eine zentrale Rolle. Die Max-Planck-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft und die Leibniz-Gemeinschaft, ebenso wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gehören zu den Erstunterzeichnenden der Berliner Erklärung (2003) und haben bereits früh Open-Access-Leitlinien und Policies verabschiedet (vgl. Fraunhofer-Gesellschaft 2008 und 2015, Leibniz-Gemeinschaft 200762 und 2016, Helmholtz-Gemeinschaft 2016) und diese inzwischen zum Teil zu Open Science Policies bzw. Leitbildern für Open Science erweitert (Helmholtz-Gemeinschaft 2022; Leibniz-Gemeinschaft 2022). Zum Teil haben sie sich ambitionierte Zielquoten für Open Access-Publikationen gesetzt.63 Vor allem aber bearbeiten die Forschungsorganisationen zusammen mit der DFG, der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und dem Wissenschaftsrat (WR) seit 2008 in der Schwerpunktinitiative „Digitale Information” der Allianz der Wissenschaftsorganisationen Fragen rund um die Digitalisierung von Wissenschaft, Open Access und Open Science. In diesem Rahmen haben sie wichtige Initiativen und Projekte angestoßen und prägen bis heute die Ausrichtung der Open-Access-Transformation in Deutschland.
In der Ausgestaltung der Open-Access-Transformation in Deutschland haben die unterschiedlichen Akteur*innen der Stakeholder-Gruppe Wissenschaftsorganisationen eigene Schwerpunkte und Strategien im Umgang mit Open Access entwickelt, die sich teilweise ergänzen. Als wichtigste überregional agierende, strategische Akteur*innen wurden die DFG, der Wissenschaftsrat sowie die DEAL-Gruppe identifiziert. Diese sollen im Folgenden vorgestellt werden. Eine weitere wichtige Akteursgruppe sind die oben bereits erwähnten deutschlandweit agierenden, außeruniversitären Forschungsorganisationen.
Gegründet im Jahr 2008 dient die Schwerpunktinitiative „Digitale Information” (im Folgenden kurz: Allianz-Initiative) als zentrales Beratungsforum, aus dem heraus wichtige politische Initiativen im Bereich Open Access angestoßen und verfolgt werden.64 Der Allianz-Initiative gehören Vertreter*innen der Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), des Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD), der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG), der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutschen Forschungszentren (HGF), der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und des Wissenschaftsrats (WR) an (vgl. Max-Plack-Gesellschaft 2008).
In ihrem Leitbild 2018–2022 verständigte sich die Allianz-Initiative auf acht gemeinsame Handlungsfelder rund um Open Access, Open Science und Forschungsdaten. Das gemeinsame Handlungsfeld Wissenschaftliches Publikationssystem mit dem Ziel, das „Potential des digitalen Publizierens” (Steuerungsgruppe der Schwerpunktinitiative „Digitale Information” 2017, 10) auszuschöpfen, stand dabei an erster Stelle. Dies sollte durch die freie Zugänglichkeit aber auch durch eine „nachhaltige Organisation des Publikationswesens” (ebd.) erreicht werden. Dabei legte die Allianz-Initiative den Fokus auf die deutschlandweite Lizenzierung von Open-Access-Zeitschriften großer Wissenschaftsverlage im Projekt DEAL und die Standardsetzung im Bereich Open-Access-Transformationsverträge. Daneben sollten aber auch „kooperative Finanzierungsansätze” (ebd.) einbezogen werden. 2021 beriet die Allianz-Initiative auch über eine gemeinsame Open-Access-Strategie 2021–2025, die jedoch unveröffentlicht blieb. In dieser65 werden die Gestaltung des wissenschaftlichen Publikationswesens und die Transformation der Open-Access-Finanzierung als zentrale Aufgaben definiert (vgl. Bertelmann et al. 2022, 6; Pampel et al. 2022, 3 ).66
Unter den Wissenschaftsorganisationen in Deutschland nimmt die DFG als Vertreterin der Wissenschaft in ihrer Gesamtheit eine Schlüsselrolle ein. Sie ist als Teil der Allianz-Initiative und der DEAL-Gruppe67 an den zentralen wissenschaftspolitischen Entscheidungen und Weichenstellungen beteiligt. Darüber hinaus gestaltet die DFG die Open-Access-Transformation seit vielen Jahren mit ihren Förderprogrammen zur Infrastrukturbildung, der Beteiligung an internationalen wissenschaftspolitischen Initiativen und der Setzung von Rahmenbedingungen die Open-Access-Transformation in Deutschland entscheidend mit.
Laut ihrer Satzung von 2021 versteht sich die DFG als eine der Wissenschaft dienende Organisation, die „strukturbildend und integrativ [...] ihr strategisches Gestaltungspotential im Bekenntnis zur Wissenschaftsfreiheit und ethischen Grundprinzipien sowie in Verantwortung für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems” (DFG 2021, 1) nutzt, um Rahmenbedingungen zu gestalten und für die deutsche Wissenschaftslandschaft Werte und Normen zu setzen (vgl. ebd.). Bemerkenswert ist, dass die DFG, obwohl sie sich seit 2003 für Open Access ausspricht, Wissenschaftler*innen nicht zum Publizieren im Open Access verpflichtet (vgl. DFG 2018a, 35). Darin unterscheidet sie sich von zahlreichen anderen europäischen und internationalen Forschungsförderern, die sich in der cOAlition S68 zusammengeschlossenen haben (vgl. DFG 2018b, o.S.). Während sie Potenzial und Vorteile von Offenheit für die Wissenschaft sieht, verweist die DFG auch auf kritische Entwicklungen im Zusammenhang mit der Open-Access-Transformation und fordert Maßnahmen, um eine wissenschaftsförderliche Umstellung auf Open Access zu gewährleisten (vgl. ebd.; DFG 2018a, 28ff.).
Als wichtigstes wissenschaftspolitisches Beratungsgremium der Bundesregierung und der Länder ist der Wissenschaftsrat69 ein weiterer zentraler Akteur für die Gestaltung von Open Access in Deutschland. Der Wissenschaftsrat berät Bund und Länder in inhaltlichen und strukturellen Fragen und erarbeitet Empfehlungen.
Der Wissenschaftsrat setzt sich aus einer Wissenschaftlichen Kommission und einer Verwaltungskommission zusammen. Für die Wissenschaftliche Kommission werden sowohl Wissenschaftler*innen sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens benannt, jeweils auf gemeinsamen Vorschlag von den Wissenschaftsorganisationen MPG, HGF, FhG, DFG, HRK und der Leibniz-Gemeinschaft sowie von Bund und Ländern. Die Verwaltungskommission besteht aus Vertreter*innen von Bundes- und Länderregierungen.70 Darüber hinaus wirken berufene Sachverständige an der Erarbeitung der Wissenschaftsrat-Empfehlungen mit.71
In seinen Anfang 2022 vorgelegten „Empfehlungen zur Transformation des wissenschaftlichen Publizierens zu Open Access” (WR 2022) spricht sich der Wissenschaftsrat für den unmittelbaren Zugang zu publizierten Forschungsergebnissen (Gold Open Access) als Standard des wissenschaftlichen Publizierens aus und empfiehlt, Geschäftsmodelle für die Umstellung des wissenschaftlichen Publikationswesens auf Open Access unter Wahrung der „Vielfalt wissenschaftlicher Publikationstypen und -medien” (WR 2022, 8) und Mindeststandards für die Qualität digitaler Publikationen zu entwickeln. Ziel sei es dabei, das wissenschaftliche Publikationssystem zu transformieren, seine Leistungsfähigkeit zu steigern und es offen für neue Innovationen und flexibel zu gestalten (ebd.). Mittelfristig soll das Publizieren im Open Access als Bestandteil guter wissenschaftlicher Praxis (vgl. WR 2022, 59; DFG 2019a) gelten. Als zentrales Instrument, um die Open-Access-Transformation weiter zu gestalten, empfiehlt der Wissenschaftsrat die Einführung eines umfassenden Monitorings aller im Zusammenhang mit Open Access anfallenden Ein- und Ausgaben auf Einrichtungsebene im Rahmen integrierter Informationsbudgets (vgl. WR 2022, 62ff.; Kapitel 5.3.2). Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats haben keinen bindenden Charakter, schließen sich aber an bestehende Desiderate und Maßnahmen von Allianz-Initiative und DFG an.
Als Repräsentanz der deutschen Hochschulen ist die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ein weiterer zentraler Akteur in der Open-Access-Transformation in Deutschland. Die HRK vertritt im April 2023 269 Mitgliedshochschulen, in denen über 90% aller Studierenden in Deutschland eingeschrieben sind. Neben ihrer Rolle als politische Vertretung ist es Aufgabe der HRK, für die Hochschulen in Deutschland Standards und Normen zu setzen und ihre Mitgliedshochschulen in zentralen Aufgaben wie Internationalisierung und Digitalisierung zu unterstützen (HRK 2019, 2). Die Unterstützung von Open Access ist hier ein wichtiger Teilaspekt (vgl. HRK 2022, 3).
Praktisch umgesetzt wird dies im Rahmen der HRK vor allem in der Umsetzung des Projekt DEAL, in dem die HRK eine wichtige Vermittlungsrolle unter den vielfältigen Stakeholdern einnimmt (vgl. Interview 2022, 13). So berät die HRK unter ihren Mitgliedern die Umsetzung von Open Access und koordiniert die Beteiligung der deutschen Hochschulen am Projekt DEAL.
Weitergehende Themen wie Open Science oder die Frage einer Reform der Forschungsevaluation sind innerhalb der HRK zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht konsensfähig (vgl. ebd.). Allerdings hat sich die HRK in ihrer Stellungnahme zum Predatory Publishing gegen eine vorwiegend an Quantität orientierte Bewertung wissenschaftlicher Publikationen positioniert: „Grundsätzlich ist im Rahmen aller Einstellungs- bzw. Berufungsverfahren sowie aller personenbezogenen Evaluationen dafür Sorge zu tragen, dass die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit entscheidend ist” (HRK 2018, 2).
Die führenden Wissenschaftsorganisationen in Deutschland verfolgen in Bezug auf die Open-Access-Transformation keine gemeinsame Strategie. Ihr Handeln verdichtet sich allerdings in zentralen Handlungsfeldern. Als strategischer Ansatz werden – insbesondere seitens der Allianz-Initiative – Transformationsverträge favorisiert (5.2.1). Um diese weiterzuentwickeln und auch Finanzierungsmodelle jenseits der Transformationsverträge aufzubauen, empfehlen Wissenschaftsrat und DFG die Einrichtung integrierter Informationsbudgets (5.2.2). Drittens schließen sich Wissenschaftsrat und DFG den Forderungen internationaler Akteur*innen zu einer Neubewertung der Forschungsevaluation im Zusammenhang der Open-Access-Transformation an (5.2.3).
Als strategisches Instrument setzt die Mehrheit der Mitglieder der Allianz-Initiative in erster Linie auf Transformationverträge (vgl. Pampel et al. 2022), allen voran die bundesweit gültigen DEAL-Verträge72 mit Springer73, Wiley74 und Elsevier75 (vgl. Schimmer et al. 2021). Neben diesen Vereinbarungen mit den großen Wissenschaftsverlagen bemüht sich der Arbeitskreis Forum 13+76 um Transformationsverträge mit kleinen und mittleren Verlagen im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften.77 Das Projekt DEAL wurde 2013/14 von der HRK und Allianz-Initiative angestoßen, um deutschlandweite Lizenzverträge mit großen Wissenschaftsverlagen zu verhandeln (vgl. Mittermaier 2022a, 1; Mittermaier 2023, X). Während die Verhandlungen mit Elsevier erst im Jahr 2023 abgeschlossen wurden (vgl. Hippler 2017, 12; Mittermaier 2022a, 1f.), existiert mit Wiley bereits seit 2019 (vgl. Kupferschmidt 2019) und mit Springer seit 2020 (vgl. Kieselbach 2020) ein Vertrag, der den deutschlandweiten Lesezugriff sowie Publikationsoptionen im Open Access für die Autor*innen aller teilnehmenden Einrichtungen ermöglicht. Dafür entrichten die teilnehmenden Einrichtungen eine Jahresgebühr in Höhe der ehemaligen Subskriptionskosten bei den jeweiligen Verlagen und zudem pro veröffentlichtem Artikel eine PAR (Publish and Read)-Gebühr in Höhe von 2750€ (für Artikel in hybriden Open-Access-Zeitschriften) bzw. eine APC mit 20% Rabatt auf den Standardpreis pro Artikel in einer goldenen Open-Access-Zeitschrift.78
Ziel des Projekts DEAL sowie generell von Transformationsverträgen ist die Umstellung der Finanzierung wissenschaftlicher Zeitschriften vom Subskriptionsmodell hin zu einer auf der Anzahl an publizierten Artikeln basierenden Finanzierung (vgl. Pampel et al. 2022, 3). Diese finanzielle Transformation von Subskription auf Open Access soll möglichst kostenneutral erfolgen, da die Zeitschriften sich schrittweise ganz öffnen und auf ein Open-Access-Modell umstellen, wodurch für die Bibliotheken Subskriptionskosten wegfallen. Ob diese Kalkulation angesichts neu entstehender Open-Access-Publikationsgebühren aufgeht, muss sich noch zeigen. Eine Auswertung aus dem Jahr 2021 zeigte, dass zwei Jahre nach Abschluss der DEAL-Verträge zahlreiche beteiligte Zeitschriften noch in einem hybriden Modus erschienen, d.h. die Verlage veröffentlichten Open-Access-Artikel und hielten gleichzeitig aber am Subskriptionsmodell fest (vgl. Mittermaier 2021, 4f., 17). Interne Kritiker*innen bemängeln außerdem die Höhe der PAR-Gebühr: Diese „liegt weit über dem, was die Publikation eines Artikels tatsächlich an Kosten verursacht/verursachen muss.[...] Zukünftige DEAL-Verträge müssen daher deutlich unter der aktuellen Publish & Read Fee von 2750€ abgeschlossen werden” (Mittermaier 2022a, 2f.). Ein weiteres zentrales Ziel der DEAL-Verträge wurde allerdings erreicht: Für zahlreiche Wissenschaftler*innen erleichtern die DEAL-Verträge das Publizieren im Open Access, wodurch sie dazu beitragen, dass sich Open Access zunehmend als Standard durchsetzen kann (vgl. Borchert/Heinrich 2021).
Den in der Allianz-Initiative verbundenen Organisationen ist es im Projekt DEAL gelungen, eine gemeinsame Administrationsstruktur aufzubauen. Zur Verwaltung des Konsortiums wurde die MPDL Services GmbH ins Leben gerufen, deren Gesellschafter*innen die Mitglieder der Allianz-Initiative sind. Das Projekt DEAL bietet außerdem einen strategischen Ansatz durch den, vermittelt über die HRK, in (nahezu) allen deutschen Hochschulen die Frage der Open-Access-Finanzierung und der Transformation der Publikationsetats auf die Agenda gesetzt wird und dazu erstmals auf Ebene der Hochschulleitungen verhandelt wird (vgl. Interview 2022, 13). Insofern leisten die DEAL-Verträge, denen viele Expert*innen kritisch gegenüberstehen (vgl. Bärwolff et al. 2023h; Bärwolff et al. 2023j), einen bedeutenden Beitrag zur Open-Access-Transformation (vgl. Interview 2022, 13).
Im Stakeholder*innen-Workshop mit den Wissenschaftsorganisationen (vgl. Bärwolff et al. 2023k) sowie in den im Nachgang geführten Einzelinterviews kamen allerdings auch die Grenzen dieser strategischen Schwerpunktsetzung zur Sprache: Die Organisation und Umsetzung der DEAL-Verträge binden den Großteil der Kapazitäten der Schwerpunktinitiative „Digitale Information” (vgl. Interview 2022, 13, 14, 15), während sie nur für den Teil der wissenschaftlichen Community Publikationsmöglichkeiten im Open Access erleichtern, in denen Forschungsergebnisse vorrangig in Zeitschriften der großen Wissenschaftsverlage veröffentlicht werden (vgl. DFG 2022d). Publikationsmöglichkeiten für Open-Access-Bücher zu schaffen und nicht-APC/BPC-basiertes Open Access weiterzuentwickeln sind Desiderate, die seitens verschiedener Stakeholder*innen formuliert wurden (vgl. Kapitel 5 und 6), die aber in die Aktivitäten der Allianz-Initiative auch aufgrund der strategischen Fokussierung auf Transformationsverträge kaum Eingang fanden.
Auch innerhalb der Allianz-Initiative sieht man Nachbesserungsbedarf: So wurden in einer Veröffentlichung der Allianz-Initiative umfangreiche Kriterien definiert (vgl. Pampel et al 2022)79. Diese umfassen ein Mehr an Transparenz und Information hinsichtlich der geplanten Transformation von Zeitschriften und der Preisgestaltung von Verlagen, die offene Zugänglichkeit und Vergleichbarkeit von Transformationsverträgen, u.a. durch die Registrierung im ESAC-Register80 und die Einhaltung ethischer Standards im Publikationswesen und von Qualitätskriterien, wie sie von COPE81 und OASPA82 definiert wurden. Weiter werden Kriterien für die Gestaltung des Workflows zwischen Verlagen und wissenschaftlichen Einrichtungen sowie zur Qualitätssicherung, zum Umgang mit Preprints, zur nachträglichen Open Access-Stellung von Opt-Out-Artikeln83 und zu Archivrechten definiert. Transformationsverträge sollen außerdem Vereinbarungen zur Nutzung von Schnittstellen und zur Bereitstellung von Metadaten und Statistiken auf Artikelebene beinhalten. Datentracking-Anwendungen seitens von Wissenschaftsverlagen müssen die informationelle Selbstbestimmung der Publizierenden wahren und mit der DGSVO kompatibel sein. Zuletzt sollen Verlage Waiver für Autor*innen aus armen Ländern anwenden und über die Anwendung solcher Waiver-Verfahren jährlich Bericht erstatten. Parallel zur Festlegung dieser Kriterien müssten aber auch Strategien erarbeitet werden, wie diese durchgesetzt werden könnten, während man gleichzeitig „den Bedarf einer verlässlichen Informationsversorgung mit wissenschaftlicher Fachinformation berücksichtigt” (Pampel et al 2022, 4).
Die Einrichtung von Informationsbudgets (vgl. Pampel 2019, Mittermaier 2022b) wird seitens des Wissenschaftsrats als Maßnahme empfohlen, um die Open-Access-Transformation zu gestalten und „mögliche Einsparungen auf der Erwerbsseite sowie mögliche Einnahmequellen gegen steigende Ausgaben für Publikationsdienstleistungen zu bilanzieren” (WR 2022, 10). Ziel ist die Herstellung von Transparenz als Grundlage einer weiteren Gestaltung der Open-Access-Transformation „jenseits der transformativen Verträge sowie für mögliche Ausgleichsmechanismen” (ebd.).
Das Informationsbudget dient als
„Instrument des Finanzmanagements [...] mit dem alle Einnahmen und Ausgaben für die wissenschaftlichen Informationen bewirtschaftet werden. Das Informationsbudget ist ein Teil des Haushaltes der Einrichtung. Je nach Einrichtung und Profil subsumiert dieses Informationsbudget die Ausgaben für die Informationsversorgung, die seit jeher von der Bibliothek verwaltet wurden, sowie alle weiteren Ausgaben für das Publizieren (Open Access, hybrid-Option, weitere Publikationsgebühren) und weitere Kosten rund um die wissenschaftliche Information, beispielsweise auch für den Betrieb von Publikationsinfrastrukturen in akademischer Trägerschaft auf lokaler und konsortialer Ebene” (Pampel 2019, 11).
Ein solches umfassendes Monitoring über einrichtungsbezogene Kosten für Open-Access-Publikationen hatte bereits 2016 die Ad-hoc-AG Open-Access-Gold im Rahmen der Allianz-Initiative vorgeschlagen (vgl. Bruch et al. 2015, 11). Die DFG fördert bereits seit 2010 die Einrichtung von Publikationsfonds für Open Access (vgl. Ploder et al. 2020)84 und verbindet diese Förderung mit struktur- und standardbildenden Vorgaben für die geförderten Einrichtungen (vgl. DFG 2018a, 3ff). Dazu zählen auch Prozesse, die (perspektivisch) ein einrichtungsbezogenes Kostenmonitoring unterstützen (vgl. DFG 2023a, 2; DFG 2023b, 11; DFG 2018a, 4, 34).85 Im Rahmen der DFG-Infrastrukturförderung (vgl. DFG 2018a, 2012, 2006) sind in vielen Einrichtungen in den vergangenen Jahren erste Schritte in Richtung eines integrierten Kostenmonitorings erfolgt.
Die Etablierung von Informationsbudgets stellt Einrichtungen vor Herausforderungen. Das zeigt auch das rege Interesse an Informations-, Austausch- und Beratungsangeboten zur praktischen Umsetzung der Informationsbudgets.86 Zunächst ist zu klären, welche Daten in welchem Umfang Gegenstand des Monitorings sind. Dies mag bei manchen Kostenarten unkompliziert sein, andere – wie bspw. Personalmittelanteile – können deutlich schwerer zu bestimmen sein (vgl. Mittermaier 2022b, 15). Vor allem aber müssen Ein-und Ausgaben im Gesamten, also ggf. auch über die Institute und Fakultäten hinweg erfasst werden. Im besten Fall fördert der Prozess Kommunikationsprozesse zwischen (Zentral-)Bibliothek, einzelnen Instituten (und ihren Bibliotheken) und Hochschulverwaltung. Dabei liege „die strategische Verantwortung dafür bei der Leitung der jeweiligen Einrichtung” (WR 2022, 76).
Ziel der Einrichtung von Informationsbudgets ist neben der Kostenkontrolle die Strategiefähigkeit der Forschungseinrichtungen. Sie sollen durch eine Kenntnis über die Verteilung der Ein- und Ausgaben in die Lage versetzt werden, „handlungsfähige Akteure” zu werden, die „weitreichendere Open-Science-Strategien umsetzen können” (ebd., 78). Empfohlen wird, dass die Einrichtung von Informationsbudgets zeitnah erfolgt, sodass „spätestens im Jahr 2025 über die Gestaltung der Finanzströme in einer reinen Open-Access-Welt nach den transformativen Verträgen beraten” werden kann (ebd., 77).
In der Open-Access-Transformation stellt sich die Frage nach der Gestaltung des wissenschaftlichen Publikationswesens vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Neben positiven Entwicklungen und Chancen lassen sich dabei auch kritische Tendenzen beschreiben, denen durch oben beschriebene vertragliche Vereinbarungen und durch ein umfassendes Kostenmonitoring begegnet werden soll. Ein drittes Handlungsfeld, das sich im Zusammenhang der Open-Access-Transformation ergibt, ist die Reform der Forschungsbewertung (vgl. WR 2022, 35). Mit ihrem Positionspapier „Wissenschaftliches Publizieren als Grundlage und Gestaltungsfeld der Wissenschaftsbewertung” hat die DFG im Mai 2022 das Thema auf die Agenda gesetzt (vgl. DFG 2022d) und im September auch mit konkreten Maßnahmen unterlegt (DFG 2022a). Angemahnt wird darin, eine „verantwortungsvolle Wissenschaftsbewertung” sowie eine „wissenschaftsadäquate Entwicklung des Publikationswesens” zu gestalten (DFG 2022d, 3). Wissenschaftliches Publizieren dient neben dem Austausch und der Vermittlung von Forschungsergebnissen auch als Grundlage für die Bewertung wissenschaftlicher Leistung. Diese Bewertung erfolgt in Teilen anhand des Publikationsortes sowie anhand der Anzahl von Publikationen (DFG 2022d, 34ff.). Die gängige Praxis, die Leistung eine*r Forscher*in, einerseits auf Grundlage des Journal Impact Factor (JIF) der Zeitschrift, in der publiziert wurde, und andererseits an der Anzahl veröffentlichter Publikationen zu bewerten, hat sich in zahlreichen Studien als reformbedürftig erwiesen (vgl. Larivière/Sugimoto 2021, Osterloh/Frey 2015, 67ff.) Im Zusammenhang der Open-Access-Transformation ist vor allem problematisch, dass diese Dominanz der Kennzahlen im Wissenschaftssystem kontraproduktive Anreize setzt (vgl. Quan et al. 2017, 498; Mallapaty 2020) und sich auf diesen Praktiken aufbauend fragwürdige Geschäftsmodelle (vgl. Sabel/Seifert 2021) entwickelt haben (vgl. DFG 2022d, 39f.). Wenn Open Access in Deutschland zum Standard werden soll, argumentiert deshalb die DFG im Anschluss an internationale Aufrufe wie die San Francisco Declaration on Research Assesment (DORA)87 und der Coalition for Advancing Research Assessment (CoARA)88, müsste dies langfristig mit einer Reform dieser Bewertungssysteme weg von einem quantitativen, auf Metriken basierendem Modus und hin zu einer inhaltsorientierten Bewertung verbunden sein (vgl. DFG 2022a; vgl. RFII 2019, 4; WR 2022, 54; Interview 2022, 12). Konkrete Schritte in diese Richtung geht die DFG in ihren reformierten Antragsverfahren. Dort wird die Anzahl der Publikationen in herkömmlichen Formaten auf maximal zehn begrenzt und Antragstellende werden ermutigt, Veröffentlichungen in nicht-etablierten Publikationsformaten (z.B. Preprints, Datenpublikationen) anzugeben. Weiter wird darauf verwiesen, dass quantitative Metriken in der Begutachtung keine Berücksichtigung finden (DFG 2022a).
Betrachtet man die Positionen und das Handeln der Wissenschaftsorganisationen in der Open-Access-Transformation, zeigt sich, dass obgleich offiziell keine gemeinsame Strategie vorliegt, die Akteur*innen in Bezug auf zentrale Handlungsfelder kooperieren und eine intensive Verständigung stattfindet (vgl. Pampel et al. 2022).
Die Stakeholder*innen-Gruppe Wissenschaftsorganisationen ist federführend in der Gestaltung der Open-Access-Transformation in Deutschland. Während die zentralen Akteur*innen in Deutschland sich bislang auf keine übergreifende, nationale Open-Access- bzw. Open-Science-Strategie verständigt haben, ist innerhalb der Allianz-Initiative eine Verdichtung von Themenfeldern und ein koordiniertes Vorgehen in Bezug auf Teilaspekte von Open Access festzustellen. In anderen Bereichen werden seitens der wichtigsten wissenschaftspolitischen Akteur*innen eher komplementäre Strategien verfolgt: seitens der DFG eine Förderung der Etablierung von Open Access durch gezielte Förderprogramme (u.a. für Open-Access-Zeitschriften und Open-Access-Publikationsfonds), das Aushandeln deutschlandweit gültiger Transformationsverträge im Projekt DEAL, die vom Wissenschaftsrat vorgelegten Empfehlungen der Einführung von Informationsbudgets. Diese unterschiedlichen Ansätze ergänzen sich teilweise; gleichwohl werden wichtige Teilaspekte der Open-Access-Transformation deutlich weniger behandelt als andere.
Dem zugrunde liegt, dies wurde auch beim Stakeholder*innen-Workshop deutlich, eine fehlende Diskussion um die übergreifenden Ziele der Open-Access-Transformation jenseits der formalen, technischen oder finanziellen Umsetzung der einzelnen Teilaspekte, wie z.B. Transformationsverträge. Dies mag aus pragmatischer Perspektive naheliegend sein, verhindert jedoch auch, dass Metaziele wie ein mit Open Access und Open Science verbundener Kulturwandel und eine Reform des Wissenschaftssystems operationalisiert werden. Unklar bleibt außerdem, ob und wie Prozesse evaluiert werden. Auch die Frage, ob die Interessen aller Stakeholder*innen gewahrt werden, sollte nicht aus dem Blick geraten (vgl. Kapitel 6).
Die Allianz-Initiative hat sich als zentraler wissenschaftspolitischer Aushandlungsort erwiesen (vgl. auch Kapitel 4). Die gegenwärtige Fokussierung auf Transformationsverträge als wichtigstes und intensiv verfolgtes strategisches Instrument droht innerhalb der Allianz-Initiative zu einer Engführung von Open Access zu führen, infolge derer weitere wichtige Handlungsfelder der Open-Access-Transformation vernachlässigt werden könnten. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der notwendig temporären Natur der Transformationsverträge, die es erfordert, die grundsätzliche Zielsetzung der Open-Access-Transformation zu definieren (vgl. Bärwolff et al. 2023l; Mittermaier 2022a, 3).
Im Stakeholder*innen-Workshop wurde deshalb das Desiderat formuliert, die Zielsetzung der Open-Access-Transformation selbst wieder verstärkt auf die Agenda zu setzen (vgl. Bärwolff et al 2023l). So müsse die erste Generation der Transformationsverträge evaluiert und in kommenden Verhandlungen nachjustiert werden (vgl. Interview 2022, 14, 15). Zu prüfen sei außerdem, ob und wie man neben Transformationsverträgen alternative und APC-freie Publikationsmodelle wie Diamond Open Access (vgl. Kapitel 6) verstärkt fördern könnte (vgl. Interview 2022, 12, 15, 16). Der Wissenschaftsrat empfiehlt dies z.B. auch aus wettbewerbsstrategischen Gründen, um „Druck auf die Anbieter gebührenfinanzierter Publikationsorgane aus[zu]üben” (WR 2022, 68).
Gegenüber Diamond Open Access herrschen jedoch weiterhin einige Vorbehalte im Hinblick auf deren Nachhaltigkeit, die zunächst überprüft werden müssten: Fehler in der Kosteneinschätzung, die bei APC-basiertem Open Access gemacht wurden, sollten nicht reproduziert werden (vgl. Interview 2022, 15). Viele Diamond-Open-Access-Modelle seien außerdem bislang nicht skalierbar und die Frage der Langzeitarchivierung von Daten und Publikationen sei zum Teil nicht gelöst (vgl. Interview 2022, 14; Bosman et al. 2021; Laakso et al. 2021; Kapitel 4). Gleichwohl war in der Workshop-Diskussion und in den Interviews ein wachsendes Problembewusstsein wahrzunehmen sowie der Wunsch, Open Access nicht zu sehr auf das Projekt DEAL zu verengen. Zukünftige Arbeitsschwerpunkte werden innerhalb der Allianz-Initiative aktuell neu verhandelt (Stand: Frühjahr 2023). Dabei sei es denkbar, die gemeinsamen Zielsetzungen in puncto Open Access und Open Science neu zu definieren (vgl. Interview 2022, 15).
Da die Schwerpunktinitiative „Digitale Information” de facto das wichtigste Austauschforum in der deutschen Wissenschaftspolitik für Themen rund um Open Access (und zunehmend Open Science) ist, wäre zu überlegen, ob der Kreis der Teilnehmenden nicht auf andere Stakeholder*innen erweitert werden kann, um die Anforderungen, aber auch Perspektiven und Impulse aller relevanten Stakeholder*innen mit in die Diskussion aufzunehmen. Dabei sollte der Blick auf die vielfältigen zusammenhängenden Aspekte der Open-Access-Transformation geweitet werden und Themen, die bislang wenig Aufmerksamkeit und in ihrer Umsetzung wenig Unterstützung erhalten haben, sollten stärker als bislang auf die gemeinsame Agenda gesetzt werden.
Für die Aufnahme eines bundesweiten Policy-Prozesses ergeben sich folgende Empfehlungen:
Innerhalb der Allianz-Initiative sollten langfristige Ziele der Open-Access-Transformation diskutiert, ausgehandelt und mit konkreten Schritten und Maßnahmen unterlegt werden.
Die Praxis des Verhandelns von Transformationsverträgen sollte anhand einer kritischen Reflektion und der aus ihnen folgenden Kriterien (vgl. Kapitel 5.2.1) weiterentwickelt werden.
Im Anschluss an die Empfehlungen des Wissenschaftsrats sollten Finanzierungsmodelle von Open Access diversifiziert werden. Vorbehalte gegenüber APC-freien Modellen von Open Access könnten empirisch überprüft werden, um Alternativen weiterzuentwickeln.
Es wäre zu prüfen, ob sich weitere Wissenschaftsorganisationen dem International Action Plan for Diamond Open Access anschließen und mit gezielten Fördermaßnahmen Rahmenbedingungen und Effizienz APC-freier Publikationen verbessern sowie Qualitätsstandards, Kompetenz und Nachhaltigkeit dieser Modelle ausbauen wollen.
Die Open-Access-Agenda sollte im Anschluss an die UNESCO-Empfehlungen zu Open Science zu einer Open-Science-Agenda erweitert werden.
Die Wissenschaftsorganisationen sollten eine gemeinsame Position zu den international angestoßenen Reformvorhaben im Bereich der Forschungsevaluation wie der DORA-Erklärung und der CoARA-Initiative entwickeln.
Die Anforderungen an die Gestaltung von Open Access sind in den Fachdisziplinen sehr verschieden (DFG 2022d, 10f). Die Gestaltung der Open-Access-Transformation sollte deshalb an fachspezifische Bedarfe angepasst sein. Von Vertreter*innen der politischen Institutionen wird häufig eingefordert, dass Anforderungen aus der Wissenschaft heraus an sie adressiert werden müssten, um von ihnen legitim aufgegriffen werden zu können. Deshalb war es im Zusammenhang dieser Untersuchung wichtig, Fachcommunities als Stakeholder*innen zu befragen und ihre Themen und Bedarfe in die Empfehlungen mit aufzunehmen.
Um die Positionen der Fachgesellschaften und Fachcommunities zu Open Access auszuwerten, wurden im ersten Teil dieser Studie Stellungnahmen von Fachgesellschaften zu Open Access untersucht.89 Dies sind in der Regel insofern keine Policy-Papiere, als dass sie keine Handlungsanleitungen zur Umsetzung von Open Access enthalten. Einige Fachgesellschaften, wie beispielsweise die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG), bringen sich mit Stellungnahmen in die Diskussion um Open Access und Open Science ein und beziehen Position bspw. zum wissenschaftlichen Publikationswesen (vgl. DPG 2021). Auch die Vorgaben von Forschungsförderern (wie beispielsweise Plan S) (vgl. Müller 2020) oder eine mögliche Transformation der von ihnen herausgegebenen Zeitschrift hin zu Open Access, wie z.B. im Fall der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA), sind Themen, die innerhalb von Fachgesellschaften diskutiert werden oder Diskussionen auslösen (vgl. z.B. DGSKA 2021). Teilweise existieren auch innerhalb der Fachgesellschaften aktive Arbeitsgemeinschaften zu Open Science und Open Access, die Positionen veröffentlichen, damit aber nicht notwendigerweise für die Fachcommunity als Ganzes sprechen (z.B. die AG „Open Media Studies” innerhalb der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM)90 oder die AG „Open Digital Gender Studies” in der Fachgesellschaft Geschlechterstudien91).92
Gleichwohl sind Fachgesellschaften sehr heterogen in ihrer Größe, ihrem Selbstverständnis, ihrer (mehr oder weniger geschlossenen) Struktur, ihrem Organisationsgrad und der sich daraus ableitenden Organisationsfähigkeit (vgl. WR 1992, 13ff; Pampel/Strecker 2020, 10; Interview 2022, 12, 14).
Als Vertreter*innen der Fachcommunities wurden in erster Linie Fachgesellschaften und Mitarbeiter*innen der Fachinformationsdienste (FID) berücksichtigt. Vielfach vermitteln die FID in den jeweiligen fachlichen Kontexten den Kontakt zu den Fachgesellschaften im Themenbereich Digitalisierung. Als solche dienten die FID als erste Anlaufstelle, um direkte Ansprechpersonen innerhalb der Fachgesellschaften oder Fachcommunities zu ermitteln. Interviews mit Vertreter*innen der FID halfen außerdem, das Feld vorab zu eruieren. Teilweise wird auch seitens der Fachgesellschaften die Auseinandersetzung mit Open Access und Open Science an die FID delegiert. Das ist einerseits angesichts der Vielfalt der Aufgaben, mit denen sich Fachgesellschaften konfrontiert sehen, verständlich. Andererseits können FID die Rolle der Fachgesellschaften z.B. für die interne Meinungsbildung einer Fachcommunity zu (Teilaspekten) der Open-Access-Transformation nicht ersetzen (vgl. 6.2.2). Zum Stakeholder*innen-Workshop wurden deshalb ausschließlich Vertreter*innen von Fachgesellschaften eingeladen. Am Workshop im Mai 2022 nahmen etwa 20 Fachvertreter*innen teil, um Anforderungen an Open Access aus ihrer Perspektive zu diskutieren. Die Ergebnisse des Workshops wurden im Anschluss durch Expert*inneninterviews mit einzelnen Fachvertreter*innen ergänzt. Dabei wurde auf ein breites Fächerspektrum geachtet, in dem sowohl natur- und technikwissenschaftliche Fächer als auch die Geistes- und Sozialwissenschaften abgebildet waren (vgl. Bärwolf et al. 2023n).
6.1 Ausgangslage: Fachgesellschaften und Open Access
6.2 Fachspezifische Anforderungen an Open Access
6.2.2 Unterstützende Dienstleistungen: Repositorien und Fachinformationsdienste
6.3 Fachgesellschaften als Herausgeber*innen von Zeitschriften
6.4 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für einen bundesweiten Strategieprozess
Anders als wissenschaftliche Einrichtungen, die großen Wissenschaftsorganisationen und Verantwortliche auf Regierungsebene repräsentieren Vertreter*innen der Fachgesellschaften wissenschaftliche Fachcommunities unmittelbar. Ihre Beteiligung an Beratungs- und Entscheidungsverfahren ist jedoch im Vergleich wesentlich weniger gewährleistet, als dies bei Hochschulleitungen oder Wissenschaftsorganisationen der Fall ist.
Fachgesellschaften und Fachcommunities sind zugleich Schlüsselakteur*innen: Als „auf Dauer angelegte Zusammenschlüsse von Fachwissenschaftlern [sic], die an Hochschulen oder in anderen Bereichen wissenschaftlich tätig sind” (WR 1992, 9) dienen sie der Organisation und Kommunikation des fachwissenschaftlichen Diskurses nach innen und außen. Als Orte der Selbstorganisation und fachlicher Standardsetzung erreichen sie Wissenschaftler*innen und gestalten die jeweilige Fachkultur (vgl. WR 1992, Pampel/Strecker 2020). Die Frage, wie diese Stimmen in der weiteren Entwicklung einer Strategie stärker als bislang einbezogen werden und wie dieses Handlungspotential erschlossen werden kann, ist deshalb von wissenschaftspolitischer Bedeutung (vgl. DFG 2018a, 16). So betont auch die DFG in ihrem Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“, dass „Fachgesellschaften […] gute wissenschaftliche Praxis durch eine gemeinsame Willensbildung ihrer Mitglieder und durch die Festlegung forschungsethischer Standards [fördern], auf die sie ihre Mitglieder verpflichten und die sie in der Community etablieren“ (DFG 2019a, 7).
Umso mehr überrascht es, dass sich zum Thema Open Access nur sehr wenige Fachgesellschaften aktiv an Diskussionen beteiligen, diese innerhalb ihrer Mitgliedschaft organisieren oder gar Empfehlungen verfassen, wie im Rahmen der guten wissenschaftlichen Praxis hinsichtlich Open Access zu verfahren sei.93 Nur vier der rund 300 in Deutschland aktiven Fachgesellschaften haben die Berliner Erklärung für freien Zugang zu wissenschaftlicher Literatur unterzeichnet (Stand April 2023) und nur wenige Fachgesellschaften setzen das Thema Open Access auf ihre organisationsinterne Agenda (vgl. Bärwolff et al. 2023j). Insbesondere für die Aktivierung von Wissenschaftler*innen als Akteur*innen der Open-Access-Transformation könnten Fachgesellschaften als Organe der wissenschaftlichen Selbstorganisation eine entscheidende Rolle spielen. Sie könnten, wie Kathrin Ganz vorschlägt, „Diskussionsprozesse [...]initiieren, die Interessen ihrer Mitglieder […] bündeln und sich ggf. selbst bei der Organisation, Finanzierung und Koordination neuer Publikationsmodelle […] engagieren“ (Ganz 2020, 8-9).
Auch wenn nach Auskunft der am Workshop teilnehmenden Fachvertreter*innen grundsätzlich großes Interesse an Open Access besteht, existiert nach wie vor Unsicherheit hinsichtlich der Qualität und Reputation von Open-Access-Zeitschriften (vgl. Bärwolff et al. 2023j). Dies verweist auf den hohen Beratungsbedarf in vielen Fachgesellschaften sowie auf die nach wie vor existierenden Vorurteile und weit verbreitete Unkenntnis gegenüber Open Access. Hier sollten durch fachspezifische Trainingsformate Kenntnisse und Kompetenzen aufgebaut bzw. gestärkt werden. Möglicherweise könnten innerhalb der Fachgesellschaften Open-Access- oder Open-Science-Beauftragte etabliert werden. Diese könnten innerhalb der Fachgesellschaften den Austausch in der Fachcommunity über mit Open Access und Open Science verbundene Themen organisieren und nach außen die Position der Fachgesellschaft in übergreifenden Gremien vertreten.
Allgemein wurde seitens der Fachvertreter*innen gefordert, dass Förderbedingungen und finanzielle Mittel, um diese zu erfüllen, einander entsprechen müssten. Die Aufforderung, im Open Access zu publizieren oder Forschungsdaten frei zugänglich zu machen, werde häufig seitens der Fördergeber*innen an Wissenschaftler*innen herangetragen, während nicht immer gewährleistet sei, dass Ressourcen und Infrastrukturen dauerhaft vorhanden sind, um diesen Anforderungen auch nachzukommen (vgl. Interview 2022, 20).
Quer durch alle Fächer zieht sich außerdem als drängendes Problem die Frage nach der Finanzierbarkeit von Open Access (vgl. ebd.). Im Bereich der Zeitschriftenartikel bietet der Zugang zu institutionellen Publikationsfonds oder Veröffentlichungsoptionen im Rahmen von Transformationsverträgen eine Lösung, wobei seitens vieler Fachvertreter*innen die Sorge bestand, dass hohe und weiter steigende Preise für Open-Access-Publikationen Ungleichheiten im Wissenschaftssystem verschärfen und den internationalen Austausch mit Wissenschaftler*innen aus ärmeren Weltregionen erschweren könnten (vgl. Interview 2022, 20; Hopf et al. 2021, 17ff.; DGSKA 2021).
Für die Umsetzung und Ausgestaltung von Open Access und Open Science sind fachspezifische Unterschiede von hoher Bedeutung (vgl. DFG 2022d, 10f., Rosenbaum 2006, 46ff.). Fachkulturen interagieren ganz unterschiedlich mit den Potentialen der Digitalisierung und angesichts diverser Traditionen der wissenschaftlichen Kommunikation, Publikationsformate und -normen stellen sich andere Herausforderungen (vgl. Severin et al. 2020). Open Access wurde in der Workshopdiskussion ebenso wie in den Expert*inneninterviews bspw. ganz grundsätzlich als Teilaspekt der Digitalisierung der wissenschaftlichen Praxis in der jeweiligen Fachdisziplin und so als Teil von Open Science angesehen. So berichtete eine*r der Interviewpartner*innen:
„Hier, in unserem Fach, sind Daten und Publikationen [...] miteinander verwoben. Es ist üblich, dass eine Dissertation 800 Bilder und Katalogauszüge hat [...] Geisteswissenschaftler betrachten Datum und Publikation nicht getrennt“ (vgl. Interview 2022, 23).
Einige wissenschaftliche Disziplinen waren Pionier*innen von Open Access und Open Science. So war es z.B. in der Physik und Mathematik schon früh üblich, digitale Preprints zu teilen, woraus sich der Preprint-Server arXiv94 entwickelte, der zum Vorbild für zahlreiche ähnliche Plattformen wurde (vgl. Tobschall 2016 o.S.; Schmeja 2017, o.S.). In anderen Fächern dagegen (z.B. Rechtswissenschaften) wirken Beharrungskräfte, die eine Öffnung für frei zugängliche Publikationsformate erschweren (vgl. Interview 2022, 18; Fischer 2022). Eine wichtige Hürde für die Akzeptanz von Open Access liegt in fachspezifischen Reputationsmechanismen und -kulturen (vgl. DFG 2022d, 10ff.; Kapitel 2).
Um einen Überblick über fachspezifische Publikationsformate zu erlangen, befragte die DFG die Betreuer*innen ihrer 48 Fachkollegien (vgl. DFG 2022d, 10f.). Die Resultate sind in Abbildung 6 grafisch aufbereitet. Auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass gravierende Unterschiede in den Publikationsformen bestehen, wobei Beiträge in Fachzeitschriften in allen Disziplinen zumindest einen mittleren Anteil an allen Publikationsformen einnehmen.95 In vielen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern gelten daneben aber Monographien und Sammelbände nach wie vor als ein wichtiges Format, um Forschungsergebnisse zu kommunizieren (vgl. DFG 2022d, 11; AuROA 2022, 7). In den Ingenieur- und Lebenswissenschaften erfolgt der wissenschaftliche Austausch darüber hinaus über Konferenzbeiträge. In den technischen Fächern sind für Forschende außerdem Publikationsformate wie Patente, Datenpakete, Software oder auch Grafiken, Bilder und 3D-Modelle relevant (vgl. Wermbter/Elsner 2022, 9f.).
Die zentralen Initiativen der Open-Access-Transformation (vgl. Kapitel 5) orientieren sich an einem Transformationsmodell, das von wissenschaftlichen Zeitschriften als Leitmedien und der Akzeptanz von Publikationsgebühren ausgeht. Beides ist jedoch nicht in allen Fachkulturen gleichermaßen der Fall. Um den Bedarfen aller wissenschaftlichen Disziplinen gerecht zu werden, sollten deshalb verstärkt die Open-Access-Stellung anderer Publikationsformate ermöglicht und gefördert werden (vgl. Siegert 2017, 5f.).
Obgleich an vielen wissenschaftlichen Einrichtungen in den vergangenen Jahren institutionelle Publikationsfonds96 auch für Monographien und Sammelbände eingerichtet wurden, bleiben mit dem Zeitschriftenbereich vergleichbare flächendeckende Förderstrukturen97, anerkannte Qualitätsstandards (vgl. Di Rosa 2020) und Prozesse für Open-Access-Bücher bisher ein Desiderat (vgl. Arning et al. 2022a; Godel et al. 2020; Regener/Wolf 2020; Wissenschaftsrat 2022, 42; Hansmann 2022). Dies wird vor allem von den Fachvertreter*innen aus den Sozial-und Geisteswissenschaften als Herausforderung im Umgang mit Open Access erachtet (vgl. Bärwolff 2023j; Interview 2022, 20, 21, 22).
Seitens der Forschenden besteht, so berichten die Interviewpartner*innen, durchaus Interesse daran, Bücher im Open Access zu veröffentlichen. Gerade auch die durch digitale Publikationen eröffnete Option der Verlinkung von Text und Bild(daten) in Form einer „enhanced publication” ist z.B. für mit Darstellungen arbeitende Forscher*innen wie Kunsthistoriker*innen sehr attraktiv. Die Herstellungskosten sind für solche Publikationen nochmals höher als für Standardbücher. Gleichzeitig ergeben sich rechtliche Fragen zu Bildrechten, die nicht immer leicht zu klären sind (vgl. Interview 2022, 20). Die Realisierung gerade solcher Publikationen erfordert deshalb eine intensive Beratung der Wissenschaftler*innen sowohl in rechtlichen als auch finanziellen Fragen, wenn überhaupt entsprechende Fördermöglichkeiten bestehen (vgl. Kapitel 4).
Doch auch ganz allgemein ist die Preisgestaltung kommerzieller Verlage für Book Processing Charges (BPC) häufig intransparent (vgl. Kapitel 4). Ebenso wie im Zeitschriftensegment orientieren sich Publikationsgebühren nur teilweise an den tatsächlichen Herstellungskosten98 und zu einem gewissen Grad an der Reputation des jeweiligen Verlages (vgl. Projekt AuROA 2022). Es ist deshalb auf eine transparente und nachvollziehbare Kalkulation der BPC zu achten (vgl. Brinken 2020).99 Dafür fehlen häufig (noch) einheitliche Kriterien und Qualitätsstandards (vgl. Wissenschaftsrat 2022, 49ff). Die AG Universitätsverlage hat bezüglich ihrer eigenen Verlagsstrukturen bereits solche Empfehlungen ausgearbeitet (vgl. AG Universitätsverlage 2018, Arning et al. 2022a).
Für Open-Access-Bücher werden häufig ausfallende Verkaufserlöse in die BPC eingepreist. Dabei ist es keinesfalls notwendigerweise so, dass ein Open-Access-Buch nicht auch parallel in einer Printversion verkauft werden kann. Zahlreiche Studien belegen, dass die Open-Access-Stellung eines Buches keinesfalls automatisch zu Einnahmeeinbußen im Verkauf führt (vgl. Hopf et al. 2022, 21; Ferwerda et al. 2018, Snijder 2010).
Als Alternative zu kommerziellen Verlagen haben sich in den letzten Jahren auch in Deutschland Universitätsverlage (vgl. Arning et al. 2022b) und andere wissenschaftsgeleitete Verlage etabliert (vgl. Steiner 2022, o.S.; Nordhoff 2022), die keine oder stark reduzierte BPCs in Rechnung stellen und sich stattdessen über institutionelle Finanzierungen, Mitgliedschaften, Verkaufserlöse der Printausgabe, Fördergelder oder Spenden finanzieren.100 Für die Unterstützung wissenschaftsgeleiteter Publikationsorgane stehen jedoch vergleichsweise wenig Mittel zur Verfügung. Wissenschaftsgeleitetes Publizieren stützt sich deshalb massiv auf unbezahlte Arbeit, was das Etablieren und Umsetzen technischer Standards angeht und was die Nachhaltigkeit der so erscheinenden Publikationen gefährdet (vgl. Becerill et al. 2021, 25; Wrzesinski 2023). Neue wissenschaftsgeleitete Verlage können im wissenschaftlichen Reputationssystem nur schwer mit etablierten Organen konkurrieren. Innerhalb eines Publikationsökosystems, in dem große Verlage immer größere Marktanteile erobern, braucht es eine öffentlich getragene und organisierte Infrastruktur, die wissenschaftsgeleitetes Publizieren dauerhaft etabliert (vgl. Bärwolff et al. 2023h).
Eine Finanzierung von Open-Access-Büchern kann auch im Rahmen von Bibliothekskonsortien erfolgen. So organisiert beispielsweise das Unternehmen Knowledge Unlatched die gemeinschaftliche Finanzierung von Open-Access- Monographien und -Sammelbänden im Crowdfunding-Verfahren (vgl. Fund 2016). Auf diesem Weg sind z.B. in der Medien- und in der Politikwissenschaft Finanzierungsnetzwerke entstanden, die z.T. unter Beteiligung von Fachinformationsdiensten (FID) Bücherpakete finanzieren (vgl. Hanneken et al. 2020).101 Aus dem internationalen COPIM-Projekt ist das Open Book Collective als gemeinsame Plattform hervorgegangen, auf der Verlage mit Bibliotheken kooperieren und so gemeinsam Open-Access-Bücher finanzieren und realisieren können102 (vgl. Gerakopoulou et al. 2021, 49f.). Diese und vergleichbare Lösungen zeigen, dass auch im Bereich Open-Access-Bücher noch viel Potential zur Entwicklung innovativer Finanzierungsmodelle liegt, das zukünftig weiterentwickelt und ausgeschöpft werden kann (vgl. Penier et al. 2020).
Als weiterer Veröffentlichungsort und alternativ zu einer teuren kommerziellen Verlagspublikation kann außerdem eine Veröffentlichung im institutionellen Repositorium erfolgen. Entsprechende Angebote, die in vielen wissenschaftlichen Einrichtungen geschaffen worden sind, orientieren sich an den Bedarfen der Forschenden und ermöglichen die Veröffentlichung mitsamt der zugrunde liegenden Forschungsdaten (vgl. Arning et al. 2022a, 2). Auch Erst-und Zweitveröffentlichungen in durch FID verwalteten Fachrepositorien können eine Alternative zu teuren Verlagspublikationen bieten. Ob diese sich als solche etablieren, ist aber auch mit der Sicherung ihres dauerhaften Bestands und der Pflege durch fachkundiges Personal verbunden (vgl. Interview 2022, 20). Um die bereits vorhandene Repositorienstruktur in Deutschland den fachspezifischen Ansprüchen entsprechend weiter auszubauen, benötigt es auch eine Implementierung gemeinsamer Standards. Darunter fallen bspw. das DINI-Zertifikat als Instrument zur Standardisierung für Open-Access-Publikationsdienste (vgl. DINI AG 2022). Auch die Empfehlungen der Initiative Next Generation Repositories (NGRs) der Confederation of Open Access Repositories (COAR) sind hier von Bedeutung, um in Zukunft neue und verbesserte Funktionen für Repository-Systeme zu fördern, durch die das Publizieren diverser Publikationsformate realisiert werden kann (vgl. Rodrigues 2017).
Im Stakeholder*innen-Workshop und den Interviews beklagten Fachvertreter*innen die Persistenz von Wissenschaftstraditionen, die Reputationserwerb durch bestimmte Veröffentlichungsorte erfordern. Dies verweist andererseits aber auch auf ein mögliches Handlungspotential von Fachcommunities: Insbesondere im Rahmen der Förderung von Early Career Researchers (ECRs) könnten Fachgesellschaften initiativ werden, um alternative Publikationsorte zu bewerben und traditionelle Wege des Reputationserwerbes innerhalb der Fachcommunity zur Diskussion zu stellen (vgl. Bärwolff et al. 2023i, 4). Laut Auskunft der Interviewpartner*innen sind ECRs häufig aufgeschlossener gegenüber Open Access und Open Science (vgl. Interview 2022, 21, 22). Bereits etablierte Wissenschaftler*innen könnten ECRs unterstützen, indem sie renoméeträchtige Publikationsorte, bspw. Schriftenreihen, in Open Access transformieren. Denn häufig ist die wissenschaftliche Bewertung nicht allein vom Verlag, sondern von einer Reihenzugehörigkeit abhängig (vgl. ebd.).
Unkenntnis über mögliche Publikationsorte (vgl. Interview 2022, 17), Finanzierungsoptionen (vgl. Interview 2022, 22) und nach wie vor existierende Vorbehalte gegenüber Open Access verweisen auf einen hohen Beratungs- und Schulungsbedarf. Auch hinsichtlich der Qualitätssicherung und der fachlichen Reputation bei Open-Access-Zeitschriften besteht unter Fachvertreter*innen z.T. noch Unsicherheit. Hinzu kommen rechtliche Fragen zu Zweitveröffentlichungsmöglichkeiten oder auch zur Vertragsgestaltung (vgl. Interview 2022, 22). In den künstlerischen Fächern besteht im Umgang mit Urheber- und Verwertungsrechten von Bildern z.B. in der Kunstgeschichte oder Theaterwissenschaft rechtlicher Klärungsbedarf (vgl. Interview 2022, 20, 21). Hier besteht, so die Fachvertreter*innen, auch akuter Bedarf, Gesetze so zu gestalten, dass Open-Access-Publikationen überhaupt möglich sind (vgl. Interview 2022, 20, 21; Kapitel 4)
Auch bei der Digitalisierung und Veröffentlichung von Archivbeständen (vgl. Interview 2022, 21) oder aber in den technischen Fächern wie der Architektur bei der Veröffentlichung von 3D-Modellen stellen sich rechtliche Fragen, für deren Klärung Wissenschaftler*innen sachkundige Unterstützung benötigen (vgl. Interview 2022, 17). Wenn Forschende Open Access publizieren wollen, sind sie deshalb auf eine verlässliche und qualifizierte Beratung und dauerhaft zugängliche Infrastrukturen (s.o.) angewiesen (vgl. ebd.; Kapitel 4.1.1).
In diesem Bereich leisten neben den Ansprechpartner*innen an Hochschulen und Bibliotheken die Fachinformationsdienste103 mit Dienstleistungen wie der Untersuchung von Bedarfen, der Beratung und dem Betrieb von Fachrepositorien und der Organisation nachhaltiger APC/BPC-freier Publikationsmöglichkeiten (vgl. Kapitel 6.3) einen wichtigen Beitrag zur Ermöglichung von Open Access und Open Science in unterschiedlichen Disziplinen (vgl. Pfeiffenberger/Otto 2021; Wermbter/Elsner 2022; DFG 2019b, 13ff.). Um Open Access fächerübergreifend entsprechend den Empfehlungen des Wissenschaftsrats als Standard wissenschaftlichen Publizierens zu etablieren, ist deshalb die dauerhafte Finanzierung dieser Dienstleistungen jenseits einer durch die DFG erfolgten Projektförderung unerlässlich (vgl. DFG 2018a, 18; DFG 2019b, 26f.). Zu diesem Schluss kam auch bereits 2019 eine externe Evaluation der FID im Auftrag der DFG, die eine „Erarbeitung von Lösungsansätzen” für eine Verstetigung der FID auf wissenschaftspolitischer und finanzrechtlicher Ebene empfahl. Darin wird dem Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme (AWBI) und der DFG nahegelegt, sich „mit Nachdruck [...] im wissenschaftspolitischen Raum dafür einzusetzen, eine Lösung für das Strukturdilemma einer abgesicherten Finanzierungsperspektive für projektfinanziert aufgebaute überregionale Informationsinfrastrukturen zu finden und die Fachinformationsdienste als dringlichen Anwendungsfall zu positionieren” (DFG 2019b, 26).
Eine Besonderheit der Fachgesellschaften ist, dass sie selbst auch als Herausgeber*innen von Zeitschriften tätig sind. Als solche können sie sich unmittelbar für Open Access entscheiden. Einige Fachgesellschaften und Fachvereine publizieren eigene Zeitschriften über offene Publikationsinfrastrukturen wie die in der Community erfolgreich zum Einsatz gebrachte Publikationssoftware Open Journal Systems (OJS)104. Diese Open-Source-Publikationsplattformen bedürfen einer stetigen Weiterentwicklung, Anpassung und Verbreitung. Dabei sehen sich sowohl die Nutzer*innen (Autor*innen und Herausgeber*innen) als auch die Serviceprovider*innen (oft wissenschaftliche Bibliotheken) zahlreichen Herausforderungen gegenüber. Vertreter*innen beider Interessengruppen waren an der Diskussion im Open4DE-Workshop mit dem scholar-led.network beteiligt und bemerkten übereinstimmend, dass fehlende Konzepte zur nachhaltigen Finanzierung dieser Services dazu führen, dass die technischen Potentiale der bereits in vielen Anwendungsfällen erprobten und bewährten Softwarelösungen nicht in vollem Maße ausgeschöpft werden können (vgl. Bärwolff et al. 2023h). Aus aktuellen Studien ergibt sich zudem, dass diese Open-Source-Publikationsplattform zur Bibliodiversität, Nachhaltigkeit und Dekolonisierung im Open-Access-Publikationssystem weltweit beiträgt: „The open-source platform [OJS] can be said, for example, to be driving an OA diamond model of equitable access for authors, users, and readers across the full range of academic disciplines” (Khanna et al. 2022, 927; vgl. Bosman et al. 2021).
In ihrer Untersuchung der Publikationstätigkeit von Fachgesellschaften nehmen Heinz Pampel und Dorothea Strecker eine Bestandsaufnahme der in Deutschland von Fachgesellschaften herausgegebenen Zeitschriften vor: Danach wurden zum Erhebungszeitpunkt (23.4.-9.5.2019) 182 Fachzeitschriften von 131 Fachgesellschaften herausgegeben (Pampel/Strecker 2020, 23).105 Von diesen waren 13 originäre Open-Access-Zeitschriften, während 101 Zeitschriften in einem hybriden Modus und 68 noch im Closed Access erschienen (vgl. ebd., 28).
Viele Fachgesellschaften, die eine Zeitschrift im Closed Access herausgeben, interessieren sich für eine Transformation ihrer Zeitschrift in Open Access. Unsicherheiten bestehen allerdings hinsichtlich möglicher Geschäftsmodelle und Fördermöglichkeiten (vgl. Jobmann 2019, o.S.). Viele Fachgesellschaften fürchten den Verlust von Einnahmen (vgl. Johnson/Fosci 2015, 280) durch Kündigungen von Abonnements oder auch rückläufige Mitgliedsbeiträge, wenn die Mitgliedschaft vom Zugang zu einer mit dem Mitgliedsbeitrag bezahlten Zeitschrift entkoppelt wird. Auf der anderen Seite werden aber auch die Vorteile von Open Access gesehen: eine größere Reichweite und Sichtbarkeit für die publizierenden Autor*innen (und damit indirekt auch für die Fachgesellschaft) und einen erleichterten Austausch mit anderen Wissenschaftler*innen und Interessierten weltweit. Mit der Open-Access-Transformation werden aber auch weiter reichende Chancen für die Entwicklung der eigenen Disziplin verbunden. So schreibt etwa eine der Herausgeber*innen der neu transformierten Zeitschrift für empirische Kulturwissenschaft:
„[D]ie Open-Access-Transformation bietet Raum für neue Forschungen, neue Formen und erlaubt durch die kritische Gangart Reflexion. Die Frage, was jenseits bisher etablierter klassischer und experimenteller Formen kommen kann und wie wir in den kommenden Jahren die Transformation der Zeitschrift begleiten, birgt vor diesem Hintergrund für mich weniger einen damit verbundenen Kraftaufwand in sich, als das Eröffnen eines Raums mit ungeahnten Möglichkeiten zur Gestaltung” (Dippel 2022, 132).
Dies lässt sich exemplarisch am Beispiel der Zeitschriften der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA) und der Deutschen Gesellschaft für empirische Kulturwissenschaften (DGEKW) veranschaulichen, die beide mit Unterstützung des FID Sozial- und Kulturanthropologie (SKA) 2021–22 die Transformation hin zu Open Access vollzogen haben (vgl. DGSKA 2021, Par. 2; Dippel/Thiemeyer 2022; Harbeck 2022). Die Argumente für die Öffnung sowie (wenige) Gegenstimmen sind im Online-Forum der DGSKA nachlesbar106 (vgl. Bärwolf et al. 2023n): Neben der höheren Sichtbarkeit in der Fachcommunity, die v.a. für Nachwuchswissenschaftler*innen wichtig sei, wurden auch ökologische Vorteile durch den Wegfall von Druck und Versand sowie die Verringerung der Abhängigkeit von Bibliotheksetats angeführt. Mitglieder wünschten sich aber auch kleine Verlage weiter zu unterstützen und damit der Monopolbildung im wissenschaftlichen Publikationswesen entgegenzutreten. Beide Fachgesellschaftszeitschriften erscheinen deshalb auch nach der Transformation weiter bei ihren bisherigen Verlagen (vgl. DGSKA 2021, Par. 4). Sie haben sich beide für ein Geschäftsmodell ohne APCs entschieden, „weil diese Variante Wissenschaftler*innen ohne Anstellung oder aus dem ‘globalen Süden’ benachteiligt” (ebd., Par. 5; Völker/Plugge 2022). Die Open-Access-Ausgabe wird zukünftig „als wichtige Transferleistung unseres Dachverbands” durch die Mitgliedschaftsbeiträge finanziert; eine Print-Ausgabe wird als zusätzliches Verlagsangebot erscheinen (ebd.). Um die Kosten der Transformation zu finanzieren, wurden im Verbund mit anderen ethnologischen Zeitschriften und gemeinsam mit dem FID SKA DFG-Fördermittel eingeworben (vgl. DGSKA 2021, Par. 2; Dippel und Thiemeyer 2022, 127). Für eine langfristige Finanzierungsperspektive käme eine Finanzierung über Crowdfunding oder disziplinäre institutionelle Modelle, wie bspw. durch Bibliothekskonsortien in Frage (vgl. Völker/Plugge 2022, 136).
Ein anderes Modell verfolgt die Gesellschaft deutscher Chemiker (GDCh), die, teilweise in Kooperation mit Fachgesellschaften in anderen europäischen Ländern, insgesamt 24 Fachzeitschriften herausgibt (vgl. Pampel/Strecker 2020, 24). Nahezu alle Zeitschriften der GDCh sind online zugänglich, erscheinen jedoch nicht in einem reinen Open Access, sondern in einem hybriden Format über die Online-Library des Verlages Wiley bzw. in einem Fall bei Springer Nature.107 Die Zeitschriften der GDCh finanzieren sich insofern über Artikelgebühren für hybride Open-Access-Artikel, die im Rahmen des DEAL-Abkommens abgedeckt sind und können im Rahmen dieses Geschäftsmodells einen Einnahmenüberschuss erzielen, der zur Finanzierung weiterer Aktivitäten der Fachgesellschaft verwendet wird.
Publikationsgebühren und limitierter Zugang werden seitens der GDCh als notwendige Einnahmequelle nicht in Frage gestellt. So schreibt die GDCh in einer Stellungnahme anlässlich der von der cOAlition S ins Leben gerufenen Initiative Plan S zwar, dass „alle Forscher*innen in die Lage versetzt werden müssen, ihre Forschungsergebnisse Open Access zu publizieren, und zwar auch dann, wenn ihre Institutionen nur über eingeschränkte Mittel verfügen” (GDCh 2018, Par. ii). Eine Deckelung von Autor*innengebühren, wie im Plan S vorgeschlagen wird, wird jedoch abgelehnt, da „qualitativ hochwertige und selektive Zeitschriften, deren Kosten pro Artikel wegen der hohen Ablehnungsquote notwendigerweise höher sind, [dadurch] unter großen ökonomischen Druck geraten” (ebd., Par. V) könnten. Auch die Tatsache, dass Plan S Publikationen in hybriden Zeitschriften nicht akzeptiert, wird als „Einschränkung der Freiheit des Forschenden” abgelehnt (ebd., Par. iv, vii).
Die beiden Beispiele veranschaulichen sowohl die Bandbreite und Heterogenität von Fachgesellschaften als Herausgeber*innen von Fachzeitschriften einerseits, als auch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen in verschiedenen Fächern und entlang von Fachkulturen andererseits. Während einige Fächer, die häufig in den Zeitschriften großer Wissenschaftsverlage publizieren, von den derzeit geschaffenen Rahmenbedingungen in Form der DEAL-Verträge profitieren, sind nicht-kommerzielle, APC-freie Publikationsformate auf die institutionellen Infrastrukturen (z.B. Hosting von Zeitschriften), Unterstützungsangebote (FID, institutionelle Open Access-Beratung) und DFG-Fördermöglichkeiten angewiesen. Deshalb ist es unerlässlich, diese dauerhaft bereitzustellen und parallel langfristige Finanzierungsmodelle für diese Publikationsformate weiter zu etablieren (vgl. Wrzesinski 2023, 90).
Im Austausch mit Fachgesellschaften über den Stand und die Perspektiven von Open Access in Deutschland konnte ein großer Informations- und Beratungsbedarf seitens der Fachcommunities festgestellt werden. Wissenschaftler*innen erkennen zwar das Potential von Open Access und Open Science, um die Transformation souverän mitgestalten zu können ist weitere Aufklärung und Unterstützung notwendig. Hier leisten neben den Bibliotheken die Fachinformationsdienste wichtige Arbeit; die Dienstleistungen, die sie zur Verfügung stellen, sollten den Fachcommunities verlässlich dauerhaft zugänglich sein.
Fachwissenschaftliche Perspektiven auf den Stand der Open-Access-Transformation offenbaren signifikante Lücken und Ungleichzeitigkeiten, die im allgemeinen Diskurs um Open Access zunächst nicht ersichtlich sind. Fachgesellschaften können als Akteur*innen der wissenschaftlichen Selbstorganisation im Verbund mit Fachinformationsdiensten eine wichtige Rolle als Multiplikator*innen einnehmen, die diese spezifischen Bedarfe und Anforderungen ihrer Mitglieder in die Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Open-Access-Transformation in einbringen. Um dieses Potenzial zu erschließen, bedarf es weiterer Anstrengungen, auch weil Fachgesellschaften sehr heterogene Akteur*innen sind und sich in ihrer Organisationsfähigkeit stark voneinander unterscheiden (vgl. Interview 2022, 14). Es wäre aber zum einen zu überlegen, wie diese Organisationsfähigkeit gestärkt werden könnte. Weiter könnten zumindest diejenigen Akteur*innen, die Interesse haben108, an Konsultationen und Strategieentwicklung mitzuwirken, einbezogen werden.
Fachgesellschaften können darüber hinaus ihr eigenes Handlungspotential in der Open-Access-Transformation entdecken und weiter ausschöpfen. Als Selbstverwaltungsorgane ihrer jeweiligen Fachcommunity verfügen sie über umfassende Gestaltungsmöglichkeiten. Nach innen, in der Form von internen Abstimmungen darüber, was die Werte guter wissenschaftlicher Praxis im Kontext von Open Access und Open Science im jeweiligen Fach bedeuten. Nach außen, als Herausgeber*innen von Zeitschriften, gegenüber Verlagen oder als Organisator*innen von disziplinären Konsortien, die Fachveröffentlichungen mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen ermöglichen (vgl. Wise/Estelle 2019). Zusammenschlüsse wie die in Großbritannien angesiedelte und international ausgerichtete Society Publishers’ Coalition bieten eine gute Praxis, wie Fachgesellschaften sich gemeinsam für Open Access und Open Science einsetzen109.
Für die Aufnahme eines bundesweiten Policy-Prozesses ergeben sich folgende Empfehlungen:
Fachspezifische Anforderungen sollten mehr als bisher in die Strategieberatung und -entwicklung einbezogen werden.
Verlässliche und einheitliche Vorgaben und Kriterien darüber, was Forschende im Wissenschaftssystem im Hinblick auf Open Access und Open Science erfüllen müssen, sollten festgelegt werden, insbesondere für ECRs.
Dauerhaft ausreichende Unterstützungsangebote (Beratung, inklusive Rechtsberatung hinsichtlich komplexer Urheberrechtsfragen), Infrastrukturen (Hostingmöglichkeiten für Zeitschriften, Repositorien, Informationsinfrastrukturen und FID) und finanzielle Mittel (z.B. Publikationsfonds auch für OA-Bücher und Finanzierung offener Publikationsinfrastrukturen) sollten bereitgestellt werden, damit Wissenschaftler*innen den sich wandelnden Anforderungen im Zuge der Open-Access-Transformation gerecht werden können.
Die Urheberrechtsreform sollte fortgesetzt werden, um Open Access und Open Science in allen Fachdisziplinen zu unterstützen.
Ansprechpersonen in Form von Open-Access- oder Open-Science-Beauftragten sollten innerhalb von Fachgesellschaften eingerichtet werden sowie spezielle Trainings-Netzwerke, die Informations- und Kompetenzvermittlung von Open-Access- und Open-Science-Praktiken für Wissenschaftler*innen fachspezifisch vermitteln (u.a. auch durch die curriculare Einbindung von Fragen einer offenen Wissenschaftskommunikation).
Im Projekt Open4DE sollten Wege zu einer bundesweiten Open Access Policy (OAP) für Deutschland aufgezeigt werden. Dafür wurden Stakehold er*innen identifiziert, die maßgeblich an einem Policy-Prozess beteiligt sein sollten: Bund und Länder, Wissenschaftsorganisationen, Universitäten, Hochschulen und Fachgesellschaften bzw. Fachcommunities. Aus der bisherigen Ergebnisdarstellung ist ersichtlich geworden, dass es bisher keine Struktur für die Koordination eines nationalen Policy-Prozesses in Deutschland gibt. Zugleich zeigt dieser Landscape Report, dass in föderal organisierten Systemen eine Verständigung auf gemeinsame Eckpunkte zu Open Access und Open Science möglich und sinnvoll ist. Die deutsche Wissenschaftslandschaft verfügt über zahlreiche gut funktionierende Netzwerke mit belastbaren Knotenpunkten, auf die dabei aufgebaut werden könnte. Abschließend werden in einer Zuspitzung der Ergebnisse Maßnahmen empfohlen, die für einen nationalen Policy-Prozess notwendig sind. Dabei ergeben sich zwei große Handlungsfelder:
Das Handlungsfeld Steuerung der Open-Access-Transformation beinhaltet Maßnahmen, die für den Aufbau eines bundesweiten Policy-Prozesses notwendig sind. Darunter fallen Maßnahmen, die sich im internationalen Vergleich als erfolgreich herausgestellt haben, sowie Maßnahmen, die im jetzigen Wissenschaftssystem als Herausforderungen identifiziert werden konnten und in einem Policy-Prozess auf der Ebene der Governance geklärt werden sollten.
Das Handlungsfeld Teilziele für die Open-Access-Transformation beinhaltet Themen, die im Zuge eines bundesweiten Policy-Prozesses bevorzugt behandelt werden sollten. Darunter werden die Themen behandelt, die alle untersuchten Stakeholder*innen-Gruppen als wichtig identifiziert haben und die durch eine bundesweite Koordination erfolgreich in Maßnahmen umgesetzt werden könnten.
7.1 Handlungsfeld 1: Steuerung der Open-Access-Transformation
A. Sinnvolle Verknüpfung der Verwaltungsstrukturen im Bereich Open Access und Open Science
B. Die Koordination eines bundesweiten Policy-Prozesses
C. Teilhabe und Beteiligungsmöglichkeiten für einen Policy-Prozess
7.2 Handlungsfeld 2: Teilziele für die Open-Access-Transformation
A. Koordinierte Transformation der Finanzstrukturen
B. Nicht-kommerzielles Open Access für eine öffentlich finanzierte Wissenschaft
Das Multi-Stakeholder-Governance-Modell zeigt ein Zirkel-Modell, in dem Agenda Setting, Kartierung und Empfehlungen, Policy-Formulierung, Implementierung, Evaluierung und Monitoring zirkelförmig wiederholend aufeinander folgen. Empfehlungen und Berichte werden aus den einzelnen Phasen des Policy Zirkels publiziert und können immer wieder aktualisiert werden. Die Autor*innenschaft der Publikationen liegt bei einzelnen thematischen Arbeitsgruppen oder – im Falle einer bundesweiten OAP – bei der Vollversammlung (vgl. Abb. 7). Der Vorteil eines solchen Governance-Modells ist, dass die bereits vorhandenen Strukturen genutzt werden und nur eine koordinierende Arbeitsgruppe neu geschaffen werden müsste (siehe Abb. 7 gelb markiert). Auf der Governance-Ebene selbst hat die Analyse gezeigt, dass vor allem drei Herausforderungen im deutschen Kontext durch einen bundesweiten Policy-Prozess durch Maßnahmen adressiert werden sollten: A) die sinnvolle Verknüpfung der Verwaltungsstrukturen im Bereich Open Access und Open Science, B) die Koordination des Policy-Prozesses und C) die Teilhabe und die Beteiligungsmöglichkeiten an einem Policy-Prozess.
Open Access und Open Science werden in fast allen Verwaltungsstrukturen getrennt voneinander behandelt. Es benötigt eine koordinierte Auseinandersetzung über integrierte Steuerungsstrukturen und deren jeweiligen Effekte. Dabei sollte die bisherige Open-Access-Agenda, die in dieser Untersuchung vorgestellt wurde, im Anschluss an die UNESCO-Empfehlungen zu Open Science (vgl. UNESCO 2021) in eine Open-Science-Agenda eingebettet werden.
Die Arbeit an einer bundesweiten OAP sollte in den Phasen des Policy Zirkels auf Gruppen mit verschiedenen Funktionen aufgeteilt werden (vgl. Kapitel 3.3, 3.5.2). Dadurch können im Prozess einer mehrstufigen, kollaborativen Politikgestaltung Vielfalt und Handhabbarkeit der Open-Science-Teilziele sichergestellt werden.
Es empfiehlt sich eine Koordination auf drei Ebenen, die ggf. aufeinander aufbauen können:
Es sollte eine bundesweite Kooperation zu Teilzielen der Open-Access-Transformation aufgebaut und etabliert werden, bspw. im Bereich APC- und BPC-freier, nicht-kommerzieller und offener Publikationsinfrastrukturen (vgl. Kapitel 3.5.2).
Durch die Einrichtung einer bundesweiten Beobachtungs- und Beratungsinstanz sollte evidenz-basiertes Policy-Making (vgl. Kapitel 3.2.2) anhand gezielter empirischer Untersuchungen und Monitoring vorbereitet werden. Dies steigert die Akzeptanz für Policy-Maßnahmen und Zielsetzungen.
Durch die Einsetzung einer bundesweiten Arbeitsgruppe zu Open Access und Open Science, in der zuständige Ministerien auf Bund- und Länderbene eine koordinierende Funktion einnehmen, sollten persistente Policy-Ziele in parteiübergreifenden Einigungen festgeschrieben werden (vgl. Kapitel 3.2.2), die auch politische Konjunkturen überdauern (bspw. in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz).
Eine koordinierende Instanz sorgt für die Einbindung der Akteur*innen und bietet eine zentrale Anlaufstelle für Fragen aus dem In- und Ausland zum nationalen Policy-Prozess (vgl. Kapitel 3.1). Zudem bündelt diese Instanz Aktivitäten im Bereich der Implementierung und des Monitorings.
Fachgesellschaften und Fachcommunities sollen als Stakeholder*innen an der Beratung und Erstellung einer bundesweiten OAP beteiligt werden, bspw. indem diese Ansprechpersonen in Form von Open-Access- oder Open-Science-Beauftragten benennen (vgl. Kapitel 6.1).
Daneben sollen auch individuelle Partizipationsmöglichkeiten (z.B. durch offene Konsultationsverfahren) geschaffen werden, im Rahmen derer Wissenschaftler*innen Policies kommentieren und beraten können (vgl. Kapitel 3.3.1).
Zentrale Forschungsförderer, Infrastrukturdienstleister und Open-Access-Professionals sollten als Vermittler*innen zwischen der Steuerung des Policy-Prozesses und der Umsetzung damit zusammenhängender Maßnahmen an Einrichtungen fungieren, um die Akzeptanz der Policy zu steigern (vgl. Kapitel 3.3 und 4.2.2).
Die aus der Analyse hervorgehenden Teilziele der Open-Access-Transformation ergeben sich aus den Bedarfen aller Stakeholder-Gruppen. Die folgenden drei Themen sind für einen bundesweiten Policy-Prozess prioritär zu bearbeiten: A) Koordinierte Transformation der Finanzstrukturen, B) Stärkung von wissenschaftsgetragenen Publikationsinfrastrukturen und C) Förderung des wissenschaftlichen Kulturwandels.
Die Transformation von Finanzierungsstrukturen des wissenschaftlichen Publikationswesens ist ein wichtiges Ziel einer nachhaltigen Open-Access-Transformation. Dazu gehört die Klärung der notwendigen Finanzen und Finanzierungsstrukturen, die Open Access nach fairen Prinzipien ermöglichen. Eine gerechte Verteilung der Kosten zu fairen Open-Access-Konditionen bedarf der Kooperation auf unterschiedlichen Ebenen. Dazu zählen Bemühungen, Kosten- und Preistransparenz zu fordern und Kriterien gekoppelt an Standards durchzusetzen. Ein koordiniertes Vorgehen im Hinblick auf Förderkriterien und -grenzen sowie ggf. Sanktionen kann Nachhaltigkeit im Wissenschaftssystem stärken.
Die kritische Reflektion bisheriger Transformationsverträge und die daraus entstandenen Kriterien sollen stetig weiterentwickelt und angewendet werden (vgl. Kapitel 5.2.1).
Die Diversifizierung von Finanzierungsmodellen sollte gefördert werden, indem dauerhaft tragfähige Finanzierungsmodelle für APC- und BPC-freies Open Access weiterentwickelt und eingesetzt werden.
Fachspezifische Anforderungen sollten in die Strategieberatung und -entwicklung von Finanzierungsmodellen einbezogen werden.
Kosten- und Preistransparenz sollte hergestellt werden: Die Kosten für unterschiedliche Open-Access-Publikationswege sollten analysiert werden, Transparenz von Publikationsdienstleistungen und -gebühren eingefordert und darauf aufbauend Kriterien und Prinzipien für faire Open-Access-Kosten und -Preise verabschiedet werden (vgl. Kapitel 5.2.1 und 4.3).
Um die Nachhaltigkeit des wissenschaftlichen Publizierens zu fördern und zu sichern, empfehlen Organisationen auf nationaler und internationaler Ebene APC- und BPC-freies nicht-kommerzielles Open Access verstärkt und kooperativ zu finanzieren. Darunter fallen die offenen wissenschaftsgetragenen Publikationsinfrastrukturen in Form von Plattformen zum Open-Access-Publizieren und in Form von institutionellen und disziplinären Repositorien als Publikationsorte. Durch ihre weitere Professionalisierung und die Absicherung ihres Bestandes können Workflows zum Erst- und Zweitpublizieren in Open Access weiter standardisiert werden und bestehende Servicelücken in der Beratung und Unterstützung von Forschenden geschlossen werden.
Das Erst- und Zweitveröffentlichen in diversen Publikationsformaten über Repositorien als globale Infrastruktur für wissenschaftliche Kommunikation sollte weiter auf- und ausgebaut werden. Darunter fällt die Implementierung gemeinsamer Standards (vgl. Kapitel 6.2.2), die Umsetzung von Strategien zur Wahrung der Nutzungsrechte (bspw. im Sinne der Rights Retention Strategy von Plan S), die Möglichkeit juristischer Beratung für alle Wissenschaftler*innen (vgl. Kapitel 4.1.1) und die Sicherstellung der Langzeitarchivierung sowie die dauerhaft digitale Zugänglichkeit von Kulturdaten (vgl. Kapitel 4.3).
Durch Kooperationen auf Bund- und Länderebene sollten offene Publikationsinfrastruktur(en) aufgebaut werden, an denen auch Kompetenz- und Wissensvermittlung für Open-Access-Publikationsdienste angesiedelt ist, die allen Interessierten zugänglich ist. Solche Infrastrukturen können dauerhaft durch eine kooperative Finanzierung gesichert werden (vgl. Kapitel 4.3 und 5.2.2).
Ein Zertifikat/Siegel für Open-Access-Publikationsdienstleister sollte Kosten- und Preistransparenz, das Einhalten bestimmter Qualitätssicherungsstandards sowie Fairness- und Nachhaltigkeits-Prinzipien im Open-Access-Publizieren bewerten und belohnen. Damit können Vergleiche und Wettbewerb unter Publikationsdienstleistern gefördert werden (vgl. Kapitel 4.3).
Der Kulturwandel hin zu offener Wissenschaft soll offensiver unterstützt werden. Dies umfasst zum einen top-down Prozesse, wie die Reformen von Bewertungs- und Begutachtungsverfahren, die international gefordert und diskutiert werden (vgl. 3.4.2) . Zum Anderen beinhaltet dies aber auch die Diskussion um Offenheit als Wert und Norm, die intensiver geführt werden muss. Wissensgerechtigkeit (oder Knowledge Equity), Wissen als Gemeingut, Bibliodiversität und die Auswirkungen auf globale Publikationssysteme sind hier zentrale Themen.
Offene Wissenschaft soll mit Werten wie Wissensgerechtigkeit, Bibliodiversität und Nachhaltigkeit verbunden werden. Im Anschluss an die UNESCO-Empfehlungen zu Open Science (vgl. UNESCO 2021) sollen diese Werte in gemeinsamen Grundsatzdiskussionen erarbeitet und sowohl im Hinblick auf die Publikationsinfrastrukturen als auch auf die Stellenbeschreibungen von Wissenschaftler*innen regulierend verankert werden.
Reform der Forschungsbewertung: Eine Auseinandersetzung über die Möglichkeiten der Anerkennung und Inzentivierung von Open-Access- und Open-Science-Praktiken ist notwendig (vgl. Kapitel 3.4.2). Dies beinhaltet auch eine gemeinsame Position und Diskussion zu den international angestoßenen Reformvorhaben im Bereich der Forschungsevaluation. Für die Reform sind verlässliche und einheitliche Vorgaben und Kriterien notwendig, welche Anforderungen Forschende im Wissenschaftssystem hinsichtlich Open-Access- und Open-Science-Praktiken erfüllen sollen.
Um Open Access und Open Science in seinen vielfältigen Ausprägungen in allen Fachdisziplinen und für alle Publikationsformate zu unterstützen, muss die Urheberrechtsreform fortgesetzt werden. Ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht schafft Rahmenbedingungen, die es Wissenschaftler*innen gestattet, eine Kultur der Offenheit zu leben.
Neue Maßnahmen müssen mit Unterstützungsangeboten hinterlegt werden, damit Änderungen zu mehr Offenheit nicht als Belastung wahrgenommen werden (vgl. Kapitel 3.4.2).
Eine Form der Unterstützung sind Trainings-Netzwerke auf Bundes- und Länderebene, in denen Wissenschaftler*innen notwendige Unterstützung, Beratung und Vernetzung für fachspezifische Open-Science-Praktiken erhalten. Diese sollen weiter aufgebaut, etabliert und gefördert werden. Sichergestellt werden sollte auch, dass Open Access und Open Science in die wissenschaftliche Lehre und Ausbildung einbezogen werden.
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